Hamburg. Der nächste Flug einer Raumfähre hätte schon in wenigen Wochen stattfinden sollen: Die Raumfähre Atlantis sollte am 1. März eine neue, dreiköpfige Besatzung zur Internationalen Raumstation (ISS) befördern und die gegenwärtig dort lebenden Raumfahrer zur Erde zurückbringen. Doch bevor eine der verbleibenden drei Raumfähren (Atlantis, Endeavour, Discovery) erneut abhebt, wird es eine gründliche Untersuchung des Unglücks geben. "Vielleicht muss man sogar prinzipielle Dinge in der Konstruktion überdenken", vermutet der deutsche Kosmonaut Sigmund Jähn. Er ist wie andere Experten davon überzeugt, dass der Austausch der ISS-Besatzung nicht wie geplant stattfinden können wird. Für die Bewohner des Orbitallabors besteht gleichwohl keine unmittelbare Gefahr. Ihre Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern ist durch die russischen Progress-Raumschiffe gewährleistet, von denen eins planmäßig am Tag nach dem Columbia-Absturz startete. Und für Notfälle ist ständig eine Sojus-Kapsel an der Raumstation angedockt, die eine rasche Evakuierung und Rückkehr zur Erde ermöglicht. Die Raumfahrer können daher ohne große Probleme einige Monate länger als vorgesehen im All ausharren. Für den derzeitigen ISS-Kommandanten Nikolai Budarin ist das noch nicht einmal eine neue Situation: Er musste schon einmal über 200 Tage am Stück im Weltraum verbringen, weil die Rakete, die ihn abholen sollte, nicht einsatzbereit war. Gefährdet ist jedoch der weitere Ausbau der Raumstation. Sojus- und Progress-Kapseln können zwar Menschen und Vorräte in den Orbit befördern, jedoch nur in vergleichsweise geringen Mengen. Während die US-Raumfähren mehr als 28 Tonnen Nutzlast transportieren können, beschränkt sich die Progress-Kapazität auf etwa 2,5 Tonnen. Große und schwere Bauteile können nur mit einer Raumfähre zur ISS gebracht werden. Allein in diesem Jahr waren fünf Shuttle-Flüge zur Internationalen Raumstation vorgesehen. Bis zur endgültigen Fertigstellung des Orbitalkomplexes müssten noch etwa 320 Tonnen Material dorthin befördert werden. Nach der Explosion der Raumfähre Challenger im Jahr 1986 hatte die NASA alle Raumfährenmissionen länger als zwei Jahre ausgesetzt. Eine ähnlich lange Pause könnte jetzt den Betrieb der Raumstation sogar auf der gegenwärtigen Ausbaustufe gefährden. Denn allein um die Station am Leben zu erhalten, wären in diesem Jahr sechs Fracht- und zwei Personentransporte erforderlich. Geplant waren bislang jedoch insgesamt nur fünf Starts. Um in der kurzen Zeit die benötigten zusätzlichen Raumkapseln zu produzieren, reichen die russischen Kapazitäten nicht aus. Selbst bei vollständiger Finanzierung könnten sie frühestens 2004 zur Verfügung stehen. Russische Experten rechnen daher damit, dass die ISS konserviert werden und über Monate ohne Besatzung auskommen muss.