Hat der Pilot falsch reagiert, weil er die Maschine nach oben zog? Ein Bericht der Ermittler gibt Einblick in die letzten Momente vor dem Absturz.

Paris. Der Absturz der Air-France-Maschine klärt sich nach und nach auf. Wie ein Stein ist das Flugzeug mit 228 Menschen an Bord vom Himmel gefallen. Dreieinhalb Minuten Panik im Cockpit, die Geschwindigkeitsanzeige spielt verrückt, der Pilot am Steuer zieht die Maschine abwechselnd nach oben und nach unten. Verzweifelt überlässt er die Steuerung am Ende dem Co-Piloten. „Mach du“, sagt er, aber da ist es schon zu spät. Das Flugzeug prallt bäuchlings auf die Meeresoberfläche. Alle 228 Menschen an Bord kommen bei dem Absturz des Rio-Paris-Flugs am 1. Juni 2009 ums Leben.

Die Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte, martert seitdem die Hinterbliebenen – aber auch die Flugzeugindustrie und die Fluggesellschaft, die um ihren guten Ruf fürchten müssen, falls technische Mängel den Unfall verursacht haben.

Letzte Worte des Piloten: "Wir haben keine gültigen Angaben"

Gab es ein technisches Problem? War es ein Pilotenfehler? Oder beides, weil der Pilot wegen eines technischen Problems möglicherweise in Panik geraten war? Ein am Freitag veröffentlichter Vorbericht der französischen Ermittler gibt zumindest einen Überblick, was sich kurz vor dem Absturz im Cockpit tat.

Immerhin wurden die Flugschreiber in mehreren tausend Metern Tiefe fast zwei Jahre nach dem Unfall gefunden, was als sehr unwahrscheinlich galt – und dann auch noch lesbar waren. Bei der Auswertung des Stimmrekorders hatten manche Ermittler vielleicht den Eindruck, Stimmen aus dem Jenseits zu hören.

Der Vorbericht ist voller technischer Details und Fachausdrücke. Luftfahrtexperten lesen etwa Folgendes heraus: Der Pilot hatte sich zu einer – völlig üblichen – Ruhepause zurückgezogen. Die beiden Co-Piloten wussten, dass sie durch ein Unwetter fliegen würden und gaben den Flugbegleitern noch Bescheid.

Doch dann gab es ein Problem mit der Anzeige der Gechwindigkeit. Es wird weithin angenommen, dass die Messgeräte zumindest vorübergehend vereist waren. Der Bericht erwähnt nur, dass zwei Geschwindigkeitsanzeigen zeitweise viel zu gering waren und knapp eine Minute lang nicht mehr übereinstimmten.

Ungeklärt ist weiterhin, ob er der Co-Pilot, der am Steuer saß, richtig auf die Situation reagiert hat. Zugleich gab es nämlich ein Warnsignal wegen eines drohenden Strömungsabrisses. Das bedeutet, dass das Flugzeug zu langsam wird und abstürzen könnte. Der Pilot reagierte darauf, indem er das Flugzeug immer weiter nach oben zog. Empfohlen wird jedoch in so einem Fall, das Flugzeug nach unten zu lenken.

Nach Ansicht von Experten wurde die Maschine dadurch möglicherweise so lahm, dass die Geschwindigkeitsanzeige gar keine gültigen Werte mehr angab. Bei weniger als 111 Stundenkilometern geht das System davon aus, dass die Werte nicht korrekt sind. Dafür spricht, dass die Werte sich normalisierten, als der Pilot die Maschine schließlich nach unten zog.

Die Aufklärung des Unfalls ist eine heikle Angelegenheit. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis der Hinterbliebenen, endlich Klarheit zu haben. Auf der anderen Seite stehen handfeste industrielle Interessen. In Frankreich wird gegen Airbus und Air France wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt.

Möglicherweise war es kein Zufall, dass in den vergangenen Tagen immer wieder „erste Ergebnisse“ in die Medien gerieten, die die These eines Pilotenfehlers zu bestätigen schienen. Die Ermittlungsbehörde BEA weist die Frage nach der Verantwortung für das Unglück derzeit weit von sich. Erstmal gehe es lediglich darum, den Ablauf und die Umstände zu klären, heißt es. Genauere Ergebnisse der Auswertung des Flugschreibers sollen Ende Juni vorliegen. (dpa/abendblatt.de)

Nach der Wrack-Sichtung: Hinterbliebene sind empört

Die Gefühle schwankten zwischen Schock, Empörung und Erleichterung. "Zwei Jahre haben wir praktisch nichts gehört, und plötzlich erreicht uns so eine Nachricht. Ich musste mich erst einmal setzen", erzählt Bernd Gans, Vater einer 31-jährigen Deutschen, die bei dem Absturz des Air-France-Fluges 447 im Juni 2009 ums Leben gekommen war. Knapp zwei Jahre nach dem Unglück hat eine Suchexpedition nun Leichen und Wrackteile im Atlantik geortet.

"Leider haben wir von dem Fund nur aus der Presse erfahren", kritisiert Gans, der die Interessen der Hinterbliebenen der deutschen Opfer vertritt. Der 70-Jährige aus Vaterstetten bei München erhebt schwere Vorwürfe gegen die französische Regierung, aber auch gegen die deutsche Behörden. Die Vorgehensweise, die Angehörigen der Opfer nicht persönlich über die Ortung der Leichen zu informieren, sei "absolut pietätlos". Mit dieser Meinung ist er nicht alleine. "Wir mussten aus dem Radio davon erfahren, das finde ich sehr traurig", sagt Carmen B. aus der Nähe von Stuttgart, die bei dem Flugzeugunglück ihren 53 Jahre alten Bruder und dessen 51-jährige Frau verloren hat.

Dabei gab es laut Gans erst im Februar dieses Jahres in Paris ein Gespräch zwischen dem zuständigen Staatssekretär im französischen Verkehrsministerium, Thierry Mariani, und den Vertretern der Hinterbliebenenverbände aus Deutschland, Brasilien, Italien und Frankreich. Dort sei vereinbart worden, dass zuerst die Angehörigen über neue Erkenntnisse informiert würden. Der französischen Verkehrsministerin Nathalie Kosciusko-Morizet wirft er vor, sich mit den Ergebnissen der Suchaktion vor der Presse "gebrüstet", eine "PR-Veranstaltung für ihr Ministerium daraus gemacht" zu haben. "Das ist ein unglaublicher Affront."

Auch von der deutschen Regierung fühlen sich die Angehörigen im Stich gelassen. Das Bundesverkehrsministerium bemühe sich nicht um die Aufklärung des Unglücks und verweise lediglich auf die Zuständigkeit der Behörden in Paris. "Das ist zu wenig", beklagt der Hinterbliebenen-Sprecher. Und Carmen B. betont: "Dabei müsste es doch auch von deutscher Seite aus ein öffentliches Interesse an der Aufklärung geben." Immerhin seien auch 28 Deutsche unter den Opfern gewesen.

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums verweist auf Anfrage auf die Rechtslage, wonach die Untersuchung des Unglücks ausschließlich in der Zuständigkeit Frankreichs liege. Dennoch sei den Zuständigen im Verkehrsministerium "das menschliche und persönliche Leid, das mit dem Absturz verbunden ist, sehr wohl bewusst".

Bei den Angehörigen wächst indes aber auch die Hoffnung, dass die nun im Atlantik entdeckten Leichen geborgen und identifiziert werden können. "Wir hoffen, dass wir unsere Lieben heimholen können", sagt Gans. Auch die Familie von Carmen B. wünscht sich, die Leiche der Schwägerin neben dem Bruder, dessen Leichnam kurz nach dem Absturz geborgen werden konnte, bestatten zu können. 2Man hat dann einfach einen Ort, an dem man trauern kann", sagt sie.