Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) will plötzlich die Este renaturieren, statt Deiche in Buxtehude zu bauen

Buxtehude. Das Verfahren zum Hochwasserschutz in Buxtehude hat eine überraschende Wendung genommen. Nachdem eigentlich schon im Sommer ein Planfeststellungsverfahren zur Realisierung der Pläne eingeleitet werden sollte, die den Bau neuer Deiche im Stadtgebiet vorsahen, ist der Prozess jetzt vorerst gestoppt. Bei einem Besuch in Buxtehude hat der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander, FDP, angekündigt, die Planung des zuständigen Deichverbandes der II. Meile Alten Landes noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Diese Aussage hat Sander jetzt bekräftigt. "Das Planfeststellungsverfahren ruht", sagte der Minister gestern auf Nachfrage. "Bestimmt für eine halbes Jahr" werde der Prozess ausgesetzt, so Sander zum Hamburger Abendblatt.

Während das Verfahren ruht, soll geprüft werden, ob eine teilweise Renaturierung der Este nicht doch die umstrittenen Maßnahmen im Stadtgebiet ersetzen kann. Der Deichverband plant bisher, auf einer Länge von 1,8 Kilometern zwischen dem Granini-Wehr und dem Marschtor-Wehr nahe dem Buxtehuder Hafen die derzeit 3,30 Meter über Normalnull hohen Schutzwände auf vier bis 4,80 Meter zu erhöhen. Außerdem sollen neue Spundwände und Minideiche entstehen.

Weil die Maßnahmen sehr stark ins Stadtbild eingreifen würden, hat sich die Bürgerinitiative "Este" gegen das Vorhaben gegründet und rund 4000 Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt. Wie die Buxtehuder FDP vertritt sie die Auffassung, dass eine Renaturierung des ursprünglichen Flusslaufes besser dazu geeignet sei, zukünftige Fluten zu verhindern. Dieser Auffassung schließt sich jetzt Minister Sander an: "Ich sehe die Notwendigkeit, erst die Maßnahmen im Oberlauf des Flusses zu realisieren. Dann gibt es die Möglichkeit, auf einen Teil der Maßnahmen in Buxtehude zu verzichten."

Betroffen von möglichen Renaturierungsmaßnahmen ist besonders der Bereich zwischen Buxtehude und Moisburg. Weil dieses Gebiet im Landkreis Harburg liegt, sieht Sander in der dortigen Verwaltung den "wichtigsten Partner" bei dem Vorhaben. Der dortige Landrat Joachim Bordt, ebenfalls FDP, habe sich in einem kurzen Gespräch bereits "offen für eine Renaturierung im Bereich Moisburg" gezeigt. Jetzt sollen gemeinsame Gespräche mit Stades Landrat Michael Roesberg folgen.

Während sich Hanno Krusche, Sprecher der Bürgerinitiative "Este" gestern "sehr erfreut" über den Verfahrensstopp zeigte, mit der er die "Grundforderung" der Initiative erfüllt sieht, sorgt der Kurswechsel an anderer Stelle für Zwietracht. Denn der Minister befeuert aufs Neue einen Konflikt, der in Buxtehude eigentlich als befriedet galt. Der Bürgerinitiative "Este" steht die Initiative "Hochwasserschutz für Buxtehude" gegenüber, die sich seit längerem für eine schnelle Realisierung von Deichbaumaßnahmen in der Stadt einsetzt.

Ende des vergangenen Jahres hatte unter der Leitung des Hochschulprofessors Heinrich Reinke ein Mediationsverfahren begonnen, in dem ein Konsens zu dem Thema gefunden werden sollte, das auch in der Politik umstritten ist. Reinkes Schlichterspruch im Februar besagte, zwar eine Renaturierung als ergänzende Maßnahme zu prüfen, aber wie geplant das Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Mit seiner Entscheidung, die Pläne des Deichverbandes vorerst zu stoppen, setzt sich Hans-Heinrich Sander deutlich von diesem Schlichterspruch ab. Entsprechend "erschrocken" zeigte sich gestern Gerd Bosse, Sprecher der Initiative "Hochwasserschutz für Buxtehude". Eine konkretere Stellungnahme kündigte er für die nächsten Tage an.

Nicht zuletzt in der Buxtehuder Politik sorgt Sanders Entscheidung für Ärger. Denn Ende Februar hatte der Rat mit großer Mehrheit für die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens gestimmt. Während SPD-Fraktionschef Hans-Uwe Hansen jetzt von einem "Bruch des Schlichterspruchs" spricht, sieht die CDU-Fraktionsvorsitzende Arnhild Biesenbach die Mehrheitsmeinung des Rates übergangen. An ihren Parteikollegen, den Ministerpräsidenten David Mc Allister, hat sie ein Schreiben verfasst, in dem sie eine Klarstellung fordert.

Der Zorn richtet sich dabei allerdings weniger auf Sander, als auf dessen Parteikollegen Rudolf Fischer, FPD-Fraktionschef. Diesem wird vorgeworfen, den Umweltminister aus wahltaktischen Gründen beeinflusst zu haben: "Herr Sander war gut gebrieft von Herrn Fischer", sagt Arnhild Biesenbach. Und sie ergänzt: "Herr Fischer hat versucht, die Mehrheitsmeinung des Rates zu torpedieren".

Der so Gescholtene leugnet nicht, einen Einfluss gehabt zu haben. "Wir haben die Argumente im Ministerium vorgetragen. Ich vermute, dass das zum Besuch in Buxtehude beigetragen hat." Aber er sagt auch, dass er von dem Besuch letztlich überrascht war. Eingeladen hatte der Deichverband - und der werde wohl kaum "Wahlkampf für die FDP" machen.

Zu dem Vorwurf, die Mehrheitsmeinung des Buxtehuder Rates zu übergehen, Hans-Heinrich Sander: "Der Ratsbeschluss ist das noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss."