Kommentar

Die Geschichte hat sich nicht wiederholt. Der Irak-Konflikt, mit dem Bundeskanzler Schröder noch im September bei der Bundestagswahl punkten konnte, hat die zehn Millionen wahlberechtigten Bürger in Niedersachsen und Hessen nicht mehr entscheidend in ihrer Stimmabgabe beeinflusst. Was im Übrigen nichts über ihre Hoffnung aussagt, ein Krieg möge noch verhindert werden, aber vielleicht manches darüber, welch geringe Rolle sie dabei Gerhard Schröder zutrauen. Aber auch die landespolitischen Argumente der Sieger erklären den wahlpolitischen GAU der SPD nur zum Teil. Auf den Kanzler kam es an, wird es von heute an in den Wahlanalysen der Parteien heißen. Denn die triumphalen Erfolge des neuen Ministerpräsidenten Niedersachsens, Christian Wulff, und von Hessens Roland Koch sind vor allem auf einen Umstand zurückzuführen: die Wut der Bürger auf den Regierungschef in Berlin. Zu dilettantisch erschien ihnen die Politik der Bundesregierung seit ihrem knappen Sieg, für zu wenig gedeckt halten viele die Schecks, die der Kanzler für die Zukunft ausstellt. Angekündigt hatte sich der Vertrauensverlust schon seit Wochen. Nicht nur der Niedergang der persönlichen Umfragewerte hätte Schröder eine Warnung sein können, auch die grundsätzliche Kritik vieler Kommentatoren, die immer öfter fragten, wie der Regierungschef eigentlich das Land wieder aus dem Keller herausführen wolle, hätte das Kanzleramt alarmieren können. Dazu kamen die täglichen Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft und vom Arbeitsmarkt, die selbst eingefleischte Sozialdemokraten nicht mehr schönreden wollten. Vor allem für den Niedersachsen Sigmar Gabriel war der Gegenwind aus Berlin verheerend. Seine Versuche, sich von Schröders Politik zu distanzieren, nahmen gelegentlich fast tragische Züge an. Schröder, und dies unterstreicht das Ergebnis der beiden Landtagswahlen auf dramatische Weise, regiert im Augenblick gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Für den historischen Denkzettel, den die Sozialdemokraten gestern kassierten, trägt er die Hauptverantwortung. Es dürfte deshalb nur eine Frage der Zeit sein, wann seine Führungsschwäche in der Partei offen thematisiert wird. Im Saarland diskutieren die Genossen schon heute, ob Oskar Lafontaine bei der nächsten Landtagswahl wieder antreten soll. Und auch bei der Opposition keimt neue Hoffnung, über Bundesrat und Vermittlungsausschuss stärker mitregieren zu können. Überdies wird 2004 ein neuer Bundespräsident gewählt. Die Mehrheit der Delegierten der Bundesversammlung kommt aus den Reihen von CDU/CSU und FDP. De facto wird nach der gestrigen Wahl Regieren in Deutschland nur noch über die "große Kooperation" möglich. Aber auch der Weg bis zur "großen Koalition" könnte seit gestern kürzer geworden sein.