Nach dem Desaster wurden die Gesichter der Sozialdemokraten immer länger. CDU-Chefin Angela Merkel griff zum Sekt.

Berlin. Angela Merkel fackelte gestern Abend nicht lange. Beherzt griff die CDU-Chefin zum Sekt, als Punkt 18 Uhr die Prognosen der Wahlforscher über die Fernsehschirme flimmerten und nicht mehr der geringste Zweifel bestand, dass die Christdemokraten in Niedersachsen und Hessen grandiose Siege errungen hatten. Da knallten in Merkels Büro im fünften Stock der CDU-Zentrale die Korken. Gemeinsam mit einigen Getreuen genoss sie den triumphalen Sieg gut 100 Tage nach der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl am 22. September vergangenen Jahres. Drunten im überfüllten Erdgeschoss des Adenauer-Hauses machten derweil einige Hundert Anhänger der Union ausgelassen ihrem Jubel Luft. "Absolut mega", jauchzten Jungunionisten und begossen eiligst die frohe Kunde aus Wiesbaden und Hannover mit reichlich Pils und viel badischem Wein. Ganz anders das Bild wenige Kilometer entfernt im Hauptquartier der SPD. Die Gesichter der nicht sehr zahlreich erschienenen Sozialdemokraten im Willy-Brandt-Haus wurden lang und länger, als dort kurz vor sechs Uhr bereits die ersten Zahlen der Meinungsforscher durchsickerten. Da war es mit der Stimmung vollends vorbei. Kurz ließ sich Parteigeneral Olaf Scholz später blicken, kommentierte mit wenigen Sätzen lustlos das Desaster und entschwand dann eiligst, ohne seine Genossen aufzumuntern oder auch nur eine Frage von Journalisten zu beantworten. Bundeskanzler Gerhard Schröder, zugleich SPD-Chef, ließ sich in Berlin überhaupt nicht blicken. Er war in Hannover geblieben. Doch ihm gaben die meisten Genossen im Willy-Brandt-Haus die Schuld am Debakel. Mittendrin in der Tristesse gab Bundesvorstandsmitglied Christoph Zöpel tapfer Erklärungen ab. Außer ihm hatte zunächst kein höherrangiger Genosse den Weg ins Partei-Hauptquartier gefunden. Immer wieder schüttelte Zöpel kummervoll das Haupt, wenn neue Hochrechnungen kamen. Die "inhaltlich richtige" Position der SPD zur Irak-Frage habe die Wähler ein zweites Mal nicht beeindruckt. Überdies habe die SPD in den vier Monaten nach der Bundestagswahl zu vieles in zu hohem Tempo und zu großer Unübersichtlichkeit angepackt. Die Menschen hätten die Politik nicht verstanden. Und was sie nicht verstünden, das erschrecke sie. Dafür habe die SPD die Quittung bekommen, konstatierte Zöpel. Ob es jetzt eine heftige Debatte innerhalb der SPD geben wird? Die SPD wäre "keine gute Partei, wenns jetzt keine Debatte gäbe", prophezeite Zöpel säuerlich. Doch an eine Debatte über den Kanzler glaubt Zöpel nicht. Schröder sei "alternativlos". Nicht anders sah dies auch Niels Annen, der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten. Allerdings sei der "Vertrauensvorschuss", den Schröder und seine Bundesregierung bei der Bundestagswahl erhalten hätten, weitgehend aufgebraucht. Nötig sei jetzt ein "rot-grüner Neustart". Annen machte noch seinem Grimm über die immer neuen Vorschläge von "Superminister" Wolfgang Clement Luft und grämte sich wegen der Abwahl von Sigmar Gabriel. Das "Projekt Generationenwechsel" habe in der SPD einen "herben Rückschlag" erlitten. Auf jeden Fall rechnen die Genossen mit heftigen parteilichen Debatten über den künftigen Kurs von Sozialdemokratie und Bundesregierung. Und nicht wenige rechnen damit, dass sich jetzt auch Oskar Lafontaine wieder verstärkt zu Wort meldet. Weniger Sorgen als die SPD-Spitze hat seit gestern Abend FDP-Chef Guido Westerwelle. Ein Wahldebakel der FDP in Hessen und Niedersachsen werde ihn womöglich seinen Chefsessel kosten, hatten etliche Freidemokraten in den vergangenen Wochen geraunt. Nun hat die FDP deutlich besser als von ihr selbst erwartet abgeschnitten. Prompt war Westerwelle wieder obenauf und wirkte gestern, als seien große Lasten von ihm abgefallen. Westerwelle hat eine Atempause. Doch die Causa Möllemann wird ihm nicht viel Ruhe lassen. Die Grünen erzielten gute Ergebnisse in Hessen wie in Niedersachsen. Doch für eine Regierungsbeteiligung reichte es weder hier noch da. Das setzte ihrem Jubel Grenzen. Noch einer dürfte vermutlich wenig Freude an den Wahlergebnissen haben - Bundespräsident Johannes Rau. Denn aller Voraussicht nach verfügt jetzt Schwarz-Gelb über die Mehrheit in der Bundesversammlung, die nächstes Jahr über die Besetzung des höchsten Staatsamtes entscheiden muss. Raus Chancen auf eine zweite Amtszeit sind gestern deutlich gesunken.