Christian Wulff ist am Ziel seines langen Weges. Aus dem Verlierer ist ein stiller Superstar geworden.

Hannover. Sich Gefühle nicht anmerken zu lassen, ist ihm ungeheuer wichtig - eigentlich. Gestern Abend aber war alles anders: Eine überdeutliche Mehrheit aus dem bürgerlichen Lager macht aus Christian Wulff (43), den die SPD zum Dauerverlierer abstempeln wollte, den neuen Superstar der niedersächsischen Landespolitik - und sein Gesicht, seine Gesten spiegeln an diesem Abend bei aller Disziplin die tiefe Genugtuung über eine Rechnung wider, die aufgegangen ist: Man muss warten und ertragen können. "Schwierige Jahre des Opponierens und Kritisierens liegen hinter uns", sagt er und meint sich auch selbst, "jetzt kommt die Zeit des Gestaltens, des Regierens", fügt er ruhig, aber erkennbar tief zufrieden hinzu. Wichtig für Wulff: Das Ergebnis übertrifft kühnste Erwartungen und ist nicht allein als Denkzettel für die rot-grüne Bundesregierung zu erklären. Wulff kann getrost für sich reklamieren, mit seinem Bekanntheitsgrad und seiner Wahlkampfstrategie zum Triumph ganz persönlich beigetragen zu haben. Das macht parteiinterne Kritiker mundtot. Zweimal ist Christian Wulff gegen Gerhard Schröder angetreten, hat dabei 1994 und 1998 haushohe Niederlagen hinnehmen müssen. Und in neun langen Jahren als Oppositionsführer hat er kaum einen Fehler ausgelassen, den man bei der Menschenführung machen kann. Misstrauen, so hat er einmal fast schon im Rückblick gesagt, sei vielleicht sein größter Fehler. Aber Wulff hat auch nie aufgegeben, nicht einmal nach dem 22. September 2002, als die Niedersachsen bei der Bundestagswahl ihren Landsmann Gerhard Schröder mit knapp 48 Prozent unterstützten und als der Machterhalt der SPD auch in Niedersachsen nur noch Formsache zu sein schien. Wie sehr der Fehlstart der rot-grünen Koalition ihm noch helfen würde, konnte Wulff da noch nicht wissen. Aber als seine Chance dann kam, hat er sie kühl genutzt und sich sofort konsequent als seriöse Alternative zum rot-grünen Durcheinander positioniert. Endlich, im dritten Anlauf, ging es nicht mehr nur um Unterhaltungswert und Lokalpatriotismus. Die wirtschaftliche Krise und die Berliner Missklänge waren genau der Stoff, aus dem der Kopfmensch Wulff Honig saugen konnte. Er zelebrierte fließende Übergänge zwischen Landes- und Bundespolitik und öffnete so den mit der Bundespolitik unzufriedenen potenziellen Denkzettel-Wählern in Niedersachsen Tür und Tor. Auch Wulff hat sich seit seinem Einstieg in die Landespolitik 1994 angepasst. Leutseligkeit und Fröhlichkeit spielt er inzwischen gekonnt. Aber die für Freund und Feind überraschende Gelassenheit, mit der er in seine persönliche Entscheidungsschlacht zog, war echt und hatte wohl einen anderen Grund: Wulff durfte dieses Mal Wulff sein, ein Mann, der argumentiert, der zahlensicher ist, der Prinzipien hochhält. Dass sein Gegenspieler Sigmar Gabriel sich am Ende durch einen Zickzackkurs gegenüber Berlin und durch überzogene Attacken gegen die CDU noch zum unfreiwilligen Wahlhelfer entwickelte, hat Wulff als ausgleichende Gerechtigkeit für die vorangegangenen Niederlagen begriffen. Auf den überzeugten Goslarer Gabriel also folgt nun der mindestens so überzeugte Osnabrücker Wulff. Der Katholik (die SPD hat ihm das im überwiegend protestantischen Niedersachsen im Wahlkampf noch vorgeworfen) wird versuchen, nach der 13-jährigen SPD-Ära, in der Schröder und Gabriel hemdsärmelig bis burschikos agierten, einen betont anderen Regierungsstil zu pflegen. Mindestens an dem Punkt dürfte sein einziger christdemokratischer Vorgänger Ernst Albrecht sein Vorbild sein. In einem entscheidenden Punkt aber ist Wulff Schröder sehr nahe. Seine eigentliche Ambition ist die Bundespolitik. Das war schon früh in ihm angelegt. Der 16 Jahre alte Gymnasiast aus kleinen Verhältnissen, ohne Vater aufgewachsen, findet Bestätigung in der Schülerunion, bringt es nur zwei Jahre später als deren Bundesvorsitzender zum Sitz im Bundesvorstand der CDU unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl. Diese Zeit, diese Kontakte haben ihn geprägt. Und da ging es nicht um Landespolitik. Nur einmal hat der Taktiker Wulff bislang alles auf eine Karte gesetzt, als er nämlich innerparteilich jene Bewegung anführte, die Angela Merkel auf den Stuhl der Bundesvorsitzenden hievte. Die Achse zwischen der Vorsitzenden aus dem Osten und dem künftigen Ministerpräsidenten aus dem Norden ist geeignet, den süddeutschen Einfluss (beginnend im Hessen des CDU-Wahlsiegers Roland Koch) in Schach zu halten. Gerhard Schröder hatte das Bundesland stets nur als Startrampe für seine Kanzlerkandidatur gesehen und eigentlich notwendige strukturelle Reformen im Land gescheut. Ob Wulff, der bei seinen Berliner Ambitionen immer erst das Jahr 2010 im Auge hat, sich stattdessen mit Reformpolitik für das Land profilieren will, ist eine Schicksalsfrage für Niedersachsen. AUS DER SCHÜLERUNION AN DIE SPITZE DER LANDESREGIERUNG Christian Wulff wird am 19. Juni 1959 in Osnabrück geboren. Über die Jugendorganisationen der CDU (Schülerunion, Junge Union) kommt er zur Politik. Von 1980 bis 1986 studiert er Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück. 1984 wird er als JU-Landeschef auch Mitglied des CDU-Landesvorstands in Niedersachsen. Nach der Heirat 1988 arbeitet Wulff von 1990 an als Rechtsanwalt. Bei der Landtagswahl 1994 ist der junge Mann erstmals Spitzenkandidat, verliert gegen Gerhard Schröder. Seine Position in der Partei festigt Wulff danach: Er wird Landesvorsitzender und Fraktionschef im Landtag. Bei der Landtagswahl 1998 tritt er zum zweiten Mal als Herausforderer von Gerhard Schröder an - und unterliegt erneut. Im gleichen Jahr rückt Wulff aber in das Bundespräsidium der CDU auf und wird einer von vier stellvertretenden Parteivorsitzenden. Nachdem die CDU die niedersächsischen Kommunalwahlen 2001 gewinnt, führt Christian Wulff seine Partei in diesem Jahr zum dritten Mal in eine Landtagswahl und erringt einen deutlichen Sieg über Sigmar Gabriel (SPD).