Erfinder der Strategie: Pentagon verwendet falschen Begriff

Hamburg. Sun Tsu war der Erste. Der geniale chinesische Stratege schrieb bereits vor 2500 Jahren, die Entwaffnung eines Feindes noch vor der Schlacht sei das wirkungsvollste Ergebnis, das ein Kommandeur erzielen könne. Und Carl von Clausewitz, nicht weniger genialer preußischer Stratege, wies auf die Furcht als Element der Kriegsführung hin. Bei beiden Generalen haben die Amerikaner Anleihen gemacht, als sie ihre Strategie "shock and awe" - Schock und Einschüchterung - entwickelten. Die Idee, dem irakischen Gegner mit massiven Luftschlägen gegen vitale Zentren rasch den Schneid abzukaufen, stammt ursprünglich von dem Vietnam-Veteranen und früheren US-Navy-Piloten Harlan Ullman. Sie entstand Mitte der 90er-Jahre aus einer Studie von sieben Männern, vorwiegend Offizieren, die sich über eine verbesserte Schlagkraft der US-Streitkräfte Gedanken machte. Ideengeber Ullman ist aber nicht ganz zufrieden mit dem, was das Pentagon daraus gemacht hat. Vor allem der Terminus "shock and awe" sei völlig daneben, klagt der 62-Jährige in der britischen Zeitung "The Guardian". Diese Wortwahl habe etwas "vom Weltuntergang" an sich und symbolisiere Terror verbreitende Zerstörungskraft. "Ganz falsch", sagt Ullman, "es geht darum, mit minimaler Gewalt minimalen Schaden anzurichten. Das wurde aus dem Zusammenhang gerissen." Nicht das massive Bombardement Bagdads sei "shock and awe", sondern der Versuch, mit Marschflugkörpern Saddam Hussein in seinem Bunker auszuschalten. "Hätten wir ihn getötet, wäre das die klassische Anwendung gewesen: 50 Millionen Dollar an Waffentechnik - und wir hätten den Krieg gewonnen." "Den Gegner zu schocken ist keine neue Idee", räumt Ullman ein, der am Zentrum für strategische und internationale Studien in Washington arbeitet, "aber neu ist die Kombination aus Technologie und Philosophie." Vor den Anschlägen vom 11. September 2001 habe das Pentagon diese Strategie stets zurückgewiesen. Erst Donald Rumsfeld habe "shock and awe" durchgesetzt - gegen Außenminister Colin Powell, der im Krieg einen überwältigenden Einsatz von Mensch und Material bevorzugt. Nicht wenige Experten meinen, dass die Ullman/Rumsfeld-Strategie im Irak gar nicht funktioniere. Aber selbst hart gesottene Strategen müssen schlucken, wenn Ullman ein Beispiel für gelungenes "shock and awe" anführt: die US-Atomangriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Der "unglaubliche Horror", 100 000 Japaner in einer Nacht "einzuäschern", habe zahllose Menschenleben gerettet. So habe Washington bei einer Invasion Japans allein mit einer Million toten Soldaten gerechnet. "Und wir hätten Japan mit Brandbomben entvölkert - keine Japaner mehr", sagt Ullman. "Auf lange Sicht" sei der "minimale Einsatz von Gewalt" daher "human" gewesen.