Das Massaker an Demonstranten könnte für Libyens al-Gaddafi das Aus bedeuten. Nachfolger könnte eines seiner acht Kinder werden.

Lässig sitzt er da, in schwarzem Anzug, weißem Hemd und mit randloser Brille. Hin und wieder spießt ein belehrender Zeigefinger die Zuhörer auf; doch die Miene bleibt eigentümlich emotionsarm.

Dabei ging es in der Fernsehansprache von Saif al-Islam al-Gaddafi, dem Sohn des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, doch buchstäblich und Leben und Tod. Bis zum letzten Mann und der letzten Frau werde das Regime kämpfen, die Feinde würden sämtlich "ausgelöscht", tönt der 38-Jährige. Die Lage sei zwar "extrem gefährlich", es drohten "Chaos und Bürgerkrieg", aber Libyen sei nicht Tunesien oder Ägypten. Mit anderen Worten: Sein Vater denke nicht im Traum an Rücktritt.

Es mutet schon wie ein Akt der Verzweiflung an, dass Libyens seit mehr als vier Jahrzehnten herrschender Despot seinen zweitältesten Sohn, der gar kein öffentliches Amt bekleidet, an die Medienfront geschickt hat, um den schäumenden Volkszorn zu besänftigen. Vielleicht ein letztes Aufbäumen, Gerüchten zufolge soll Gaddafi schon geflüchtet sein.

Es liegt aber auch taktisches Geschick in diesem Manöver, denn Saif al-Islam ist von den in der Öffentlichkeit hervorgetretenen Gaddafi-Kindern noch am wenigsten umstritten. Insgesamt acht eigene Kinder von zwei Frauen hat Dauer-Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi - sieben Söhne und eine Tochter. Dazu hatte er zwei weitere Kinder adoptiert: Sein Neffe Milad Abuztaia soll dem Diktator bei dem US-Bombenangriff auf Tripolis am 15. April 1986 das Leben gerettet haben. Seine Adoptivtochter Hana kam im Alter von 15 Monaten bei diesem Angriff ums Leben, der eine Vergeltung für den wohl von Gaddafi befohlenen Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" mit drei Todesopfern war.

Eine unauffällige Familie sind die Gaddafis beileibe nicht. Schon der in allen Farben schillernde Vater gilt nicht nur im Westen, sondern selbst in der arabischen Welt als bunter Hund.

Abgesehen von gekrönten Häuptern ist er mit 41 ½ Jahren Amtszeit mittlerweile einer der am längsten Regierenden der Geschichte. Am 1. September 1969 hatte der junge Hauptmann Gaddafi mit einer Handvoll Mitverschwörer des "Bundes Freier Offiziere" den zur Kur in der Türkei weilenden König Idris kurzerhand abgesetzt.

Sein Regime basiert auf einer Verschmelzung von arabischem Nationalismus - abgeguckt beim ägyptischen Staatsgründer und Nationalhelden Gamal Abdel Nasser - mit Elementen eines westlichen Wohlfahrtsstaates und einer sozialistischen Volksdemokratie.

Zwischen 1970 und 1972 amtierte Gaddafi kurzfristig auch als Premierminister; bis 1979 zudem als Staatsoberhaupt: Heute wird er als "Revolutionsführer" angesprochen. Der am 7. Juni 1942 geborene Muammar al-Gaddafi betont seine Herkunft aus einer einfachen Beduinenfamilie aus Surt in der Region Tripolitanien und pflegt auf Staatsbesuchen möglichst in einem mitgebrachten Beduinenzelt zu nächtigen. Nach anderen Quellen war Gaddafis Vater der korsische Kampfpilot und Resistance-Held Albert Preziosi.

Gaddafi steht im Verdacht, jahrzehntelang den internationalen Terrorismus gefördert zu haben. So soll er auch Finanzier der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" gewesen sein, die 1972 das Attentat auf die Olympischen Spiele in München verübte. Weltweit zunehmend isoliert, leitete Gaddafi nach dem Sturz des Kommunismus jedoch eine überraschende Wende ein. 1999 bekannte er sich zur Drahtzieherschaft des Bombenanschlags auf den PanAm-Flug 103 am 21. Dezember 1988 über dem schottischen Ort Lockerbie mit 270 Todesopfern. Gaddafi lieferte die Täter aus und zahlte den Hinterbliebenen eine hohe Entschädigung. Auch setzte er sich für die Freilassung westlicher Geiseln aus Terroristenhaft ein. Libyens Machthaber wurde dafür vom Westen wieder als Gesprächspartner akzeptiert - so auch von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der ihn als erster deutscher Kanzler im Oktober 2004 besuchte - doch er blieb ein unberechenbares Irrlicht.

So sorgte er am 23. September 2009 bei seiner ersten Rede vor der Uno-Vollversammlung in New York für einen Eklat, als er die Uno-Charta am Pult zerriss und den Sicherheitsrat eine Terror-Organisation nannte. Die Bibel hat er als Fälschung bezeichnet. Immer wieder ruft er zur Ermordung von Gegnern seines Regimes in In- und Ausland auf. Gaddafi, selber Ziel mehrerer gescheiterter Anschläge, umgibt sich mit einer Truppe aus weiblichen Leibwächtern. Er weigert sich, über Wasserflächen zu fliegen und trennt sich auf Reisen möglichst wenig von seiner ukrainischen Krankenschwester Galina Kolotnytska. Mit der üppigen Blondine soll ihn mehr verbinden als medizinisches Interesse.

Von seinen acht Kindern hat Gaddafi, verheiratet mit Safaja Farkash, gleich mehrere in sein Regime eingespannt. Saif al-Islam, dessen Name "Schwert des Islam" bedeutet, der aber keineswegs durch besondere religiöse Inbrunst auffällt, ist der Kultivierteste. Der 1972 geborene Diplomarchitekt und Landschaftsmaler, der etliche bedeutende Bauwerke in Libyen entworfen hat, spricht neben Arabisch auch Englisch, Französisch und Deutsch. Saif al-Islam hat dem Vater mehrfach ungestraft widersprochen und Reformen verlangt. Er war es auch, der im Fall Lockerbie die Entschädigungen aushandelte und der 2000 die Geiseln der philippinischen Abu-Sayyaf-Rebellen - darunter das deutsche Ehepaar Wallert - herauskaufte. Saif al-Islam ist das sanfte Gesicht der libyschen Diktatur.

Von einigen seiner Brüder kann man das weniger behaupten. Ex-Oberstleutnant Mutasim al-Gaddafi, Jahrgang 1975, ist Nationaler Sicherheitsberater und hat sich eine eigene Miliz zugelegt. Zusammen mit seinem Bruder Khamis, geboren 1980, der eine Armee-Brigade befehligt, müht sich Mutasim derzeit, die Aufstände in Bengasi brutal niederzuschlagen.

Zwar wird auch Saif al-Islam und Mutasim ein gewisser Hang zum ausschweifenden Wohlleben nachgesagt, aber beide trieben es niemals so bunt wie ihr berüchtigter Bruder Hannibal.

Der 1977 Geborene fiel mit einer ganzen Reihe von Skandalen in Europa auf, unter anderem raste er volltrunken die Champs-Élysées in Paris mit 140 Kilometern pro Stunde auf der falschen Straßenseite entlang, verletzte in Rom drei Polizisten mit einem Feuerlöscher, zertrümmerte seiner Freundin und jetzigen Ehefrau Alina in London das Nasenbein und kam in Genf für zwei Tage in Haft, nachdem beide ihr Personal verprügelt hatten. Dies löste eine schwere Krise zwischen Libyen und der Schweiz aus, nachdem der in seiner Familienehre gekränkte Muammar al-Gaddafi zwei Schweizer als Geiseln genommen, Gelder abgezogen und die Auflösung der Schweiz gefordert hatte.

Sein ebenfalls feierfroher Sohn Saif al-Arab geriet 2004 in die Schlagzeilen, als er sich mit dem Türsteher der Münchner Diskothek "4004" prügelte.

Gaddafis ältester Sohn Mohammed leitet das Olympische Komitee Libyens und blieb bislang unauffällig. Aus gutem Grund: Seine Mutter, Gaddafis erste Ehefrau, ist in Ungnade gefallen. Mohammeds Bruder Saadi al-Islam ist ein ehemaliger Spitzenfußballspieler und Sportfunktionär. Er spielte bei italienischen Erstligisten sowie in der libyschen Nationalmannschaft und saß im Präsidium von Juventus Turin. 2006 ließ er die "Pussycat Dolls" kurz mal für eine Fete nach St. Tropez einfliegen. Kosten: eine halbe Million Euro.

Die einzige Tochter des libyschen Diktators ist Aischa al-Gaddafi. Die attraktive Anwältin gehörte zum Verteidigerteam des irakischen Tyrannen Saddam Hussein und hasst die USA.

Falls Gaddafi zurücktreten sollte, könnten Saif al-Islam oder Mutasim sein Erbe antreten. Doch falls sein Regime fällt, fallen die Söhne mit ihm.