Marine schickt drei Fregatten. Bengasis Sicherheitschef dreht Video und läuft zu den Gaddafi-Gegnern über. Lufthansa streicht Tripolis-Flüge.

Tripolis/Köln/Washington. Die deutsche Marine schickt drei Kriegsschiffe Richtung Libyen, um die Evakuierung deutscher Staatsbürger zu unterstützen. Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi kündigte eine weitere Rede im Staats-Fernsehen an – und die Lage im Land droht völlig aus dem Ruder zu laufen. Gefolgsleute von Gaddafi haben nach Augenzeugenberichten bei zwei Zusammenstößen mit Demonstranten regelrechte Massaker angerichtet. In der Stadt Sawija 50 Kilometer westlich von Tripolis beschossen Soldaten eine Moschee. Ein Augenzeuge sprach von vielen Toten und Verletzten. Auf einem Flugplatz bei Misrata, der drittgrößten libyschen Stadt, schossen Milizionäre einem Anwohner zufolge auf eine Menschenkette, die schützend das Gelände umstellt hatte. Auch hier habe es viele Tote und Verletzte gegeben. Genaue Zahlen konnten die Augenzeugen nicht nennen. Ihre Angaben konnten auch nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.

Auch in Deutschland hat die Diskussion um den Aufstand in Libyen und die Flüchtlinge erregte Reaktionen hervorgerufen. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach dessen Ablehnung von Flüchtlingen aus Libyen scharf kritisiert. Dem Hamburger Abendblatt (Freitagausgabe) sagte Roth: „Es ist nicht zu akzeptieren, wenn der Christdemokrat Thomas de Maizière nach dem Motto ‚Jetzt sind mal die anderen dran’ jegliche Solidarität mit den Menschen in höchster Not und mit den südlichen europäischen Staaten brüsk ablehnt und das Flüchtlingsproblem für nicht so zentral ansieht.“

Der Innenminister hatte zuvor gesagt, man könne nicht alle armen Afrikaner nach Europa lassen, nur weil sie im Moment in Libyen vielleicht keine Arbeit fänden. Die Flüchtlingspolitik der europäischen Innenminister nannte die Grünen-Chefin „zynisch, blind und kontraproduktiv“. Sie betonte: „Ausgerechnet ein Machthaber wie Gaddafi, vor dessen brutaler Gewalt gerade Hunderttausende Menschen flüchten, war von der EU auserkoren, Flüchtlinge abzuwehren.“ Während in Notaktionen EU-Bürgern beim fluchtartigen Verlassen des Landes geholfen werde, „sollen die Bootsflüchtlinge aus der Region zurückgewiesen und abgedrängt werden“, kritisierte Roth. „Statt mit Gaddafi den Bock zum Gärtner zu machen, müssten die EU-Innenminister sich endlich ihrer Verantwortung stellen und das Thema Flüchtlinge aus Nordafrika als gesamteuropäische Aufgabe und humanitäre Pflicht begreifen, forderte Roth.

Die EU-Kommission bereitet sich auf humanitäre Hilfe für Libyen vor. EU-Kommissarin Kristalina Georgieva stehe im Kontakt mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und anderen Hilfsorganisationen, sagte ein Sprecher in Brüssel. EU-Diplomaten schlossen unterdessen ein militärische Hilfsintervention gegenwärtig aus. Dafür brauche es die Zustimmung des betroffenen Landes oder einen Auftrag des Uno-Systems, hieß es in Brüssel.

In Tunesien und Ägypten sind nach EU-Angaben bislang noch keine großen Flüchtlingsströme eingetroffen. An der Grenze nach Tunesien seien zwischen 5000 und 8000 Gastarbeiter aus Libyen angekommen, an der Grenze nach Ägypten eine weit geringere Zahl, berichteten hochrangige EU-Diplomaten. Nach Schätzungen der EU-Kommission halten sich derzeit noch 5000 bis 6000 EU-Bürger in Libyen auf. Konkrete Sanktionen gegen Libyen hat die EU bislang noch nicht beschlossen. Am Mittwochabend teilte die Außenbeauftragte Catherine Ashton mit, man sei zu weiteren Schritten bereit.

Unterdessen hat ein Streit über die EU-Unterstützung für Nordafrika und den Nahen Osten begonnen. Der britische Premierminister David Cameron sagte laut Zeitungsberichten, die EU-Zahlungen von 1,8 Milliarden Euro jährlich an arabische Regime flössen in ein schwarzes Loch. Über Jahrzehnte seien Diktaturen wie in Libyen und Syrien unterstützt worden.

Drei Schiffe der Bundesmarine sind auf dem Weg an die libysche Küste, um bei der Rettung von deutschen Staatsbürgern aus Libyen zu helfen. Die Fregatten „Brandenburg“, „Rheinland-Pfalz“ sowie der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ befänden sich auf dem Weg in die Bucht Große Syrte vor Libyen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Nachrichtenagentur AFP. Die Schiffe mit rund 600 Mann an Bord sollten die Ausreise deutscher Staatsbürger aus Libyen unterstützen. Die Große Syrte befindet sich zwischen den Küstenorten Bengasi und Misurata.

Die Lufthansa hat wegen der Unruhen in Libyen bis Sonntag alle Flüge in die Hauptstadt Tripolis gestrichen. Grund sei die aktuelle Situation in dem Land, sagte ein Lufthansa-Sprecher. Die größte deutsche Fluggesellschaft, die normalerweise täglich einen Flug nach Libyen anbietet, habe in den vergangenen Tagen über 600 Menschen aus der Stadt ausgeflogen. „Wir gehen davon aus, dass wir alle Lufthansa-Reisenden, die reisen wollen, transportiert haben.“ Auch die italienische Fluggesellschaft Alitalia fliegt Tripolis nicht mehr an.

Der Sicherheitschef der ostlibyschen Großstadt Bengasi unterstützt nun die Gegner des Regimes von Staatschef Gaddafi. In einem selbst gedrehten Video habe Ali Huweidi seinen Rücktritt verkündet und erklärt, er wolle die gewaltsamen Angriffe auf Demonstranten nicht mehr unterstützen, berichtete der arabische Nachrichtensender al-Arabija. In den vergangenen Tagen sind mehrere Einheiten von Polizei und Armee zu den Regimegegnern übergelaufen. Bengasi, die am Mittelmeer gelegene zweitgrößte Stadt Libyens, wird von schweren Unruhen erschüttert.

Mit Material von dpa/dapd/AFP