In der Galerie der Woche öffnet Renate Kammer das “Archiv verworfener Möglichkeiten“ der Filmfotografin Naomi Schenck und ihren Drehorten.

Galerie Renate Kammer. All dies sind Orte mit Geschichte. Aber mit welcher? Die Szenenbildnerin und Autorin Naomi Schenck hat diese Frage weitergegeben. An über 30 Autoren, die sich von ihren ausgesuchten Orten, Fotografien von Innenräumen, inspirieren ließen. Daraus entstanden ist ein Buch, das "Archiv verworfener Möglichkeiten". Die Bilder dazu zeigt aktuell die Galerie Renate Kammer in einer von Esther Schulte und Alexander Sairally kuratierten Ausstellung.

Hinter den fiktiven Geschichten der Räume verbirgt sich eine wahre. Die von Naomi Schenck, ihre Suche nach Räumen für Filmproduktionen. Ihre Motivfotos zeigen Räume, die ausgewählt wurden, am Ende aber als Drehort nicht infrage kamen. So landete dieser Raum-Ausschuss in ihrem "Archiv verworfener Möglichkeiten". "Besonders die verlassenen Räume", erzählt sie, "haben eine ganz eigene Aura."

Hier ein kahles Zimmer mit einem einzigen Bett, dort ein chaotisch hinterlassener Kellerraum mit Spuren einer weit zurückliegenden Vergangenheit. An seinen Wänden teilen sich abblätternde Farbe und ein Abba-Plakat ihr tristes Dasein. In dem Archiv schlummern Hörsäle, öffentliche und private Räume, Gänge mit verschlossenen Türen, Speiseräume, darunter auch die legendäre "Spiegel"-Kantine, Bibliotheken oder Arbeitszimmer. Vielleicht sind nur Sekunden vergangen, seitdem ein Fuß den einen Raum das letzte Mal betrat, vielleicht aber auch Jahre.

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"Das sind die Räume, die ich archiviere: Räume, die Geschichten von Menschen erzählen, diese jedoch nur am Rande zeigen." So wie die Frau nahe der Wand eines Unterrichtsraums mit Blick Richtung Schultafel. Darauf geschrieben das Wort 'Liebe', als ließe sich seine Bedeutung wie eine mathematische Formel vermitteln.

Als sie die Aufnahme eines griechischen Restaurants zum ersten Mal sichtete, lag eine Puppe auf einem der Hocker. Das beim Shooting übersehene Detail erhöhte den Reiz für all jene, die diesen Räumen ihre Geschichten abverlangen. Naomi Schenck entschloss sich, mehrere Räume in einer Bildtafel übereinander zu montieren. Zwei bis vier Fotografien aus unterschiedlichen Kontexten erzählen buchstäblich raumübergreifende Geschichten.

Insgesamt waren es 25 solcher Bildtafeln, die sie den Autoren und Autorinnen zur freien Assoziation überließ. Einer von ihnen, Wim Wenders, verglich sie mit modernen Fegefeuern, mit "Anwesen, die nur Unwesen treiben, Leerstellen, Un-Orten, Purgatorien. Die Qualen, die man in diesen Fotos erleidet, haben damit zu tun, dass man nicht weiß, wo man ist." Autor Ulf Erdmann Ziegler ließ sich angesichts eines biederen Schrankes zu einer horrenden Schrank-Exegese verleiten: "Schränke sind Monster, die an den Räumen nagen, in denen wir leben", um sie schließlich bei ihrem irdischen Ableben als "Symbole gescheiterter Sesshaftigkeit" zu degradieren. Und Roger Willemsen nahm den Dreiklang der Räume zum Anlass, einen literarischen Abstieg vom "Schlafzimmer des Diktators" über die "Wohnverliese des Proletariats" bis zur "Krypta" des Herrschers zu wagen.

Mag sein, dass es Naomi Schenck wurmte, dass all diese Räume nie den Zuspruch der Filmproduktion fanden. Die abgedruckten Begründungen des Verwerfens erweisen sich als nicht weniger literarisch inspiriert. Die "phallischen Tische" in einem der Räume werden als "krankenhausreife Sublimationen", als "Möbelfick" abgelehnt, während die vorgeschlagene Szenerie für ein explosives Filmfinale mit einem Trennungsangebot endet: "Wir haben einfach zu verschiedene Auffassungen von der Apokalypse." Die Möglichkeit, drei Autoren, Dagrun Hintze, Ina Weisse und Hanns Zischler, bei einer Lesung zuzuhören, besteht am 17. 9. (19.30 Uhr) in der Galerie. Anmeldung empfohlen.

Naomi Schenck: Archiv verworfener Möglichkeiten bis 5.10., Galerie Renate Kammer, Münzplatz 11, T. 23 26 51, Di bis Fr 12.00-18.00, Sa 11.00-15.00; www.galerierenatekammer.de