Man ist ungezwungener, Statussymbole sind nicht so wichtig, sagt Finanzchef Jörg Kehlen von Unilever.

"Es gibt Klischees, die stimmen einfach", sagt Jörg Kehlen und lacht. "Wie zum Beispiel das von der Radfahr-Nation: Statistisch gesehen hat jeder Niederländer fünf Fahrräder." Bei Kehlen und seiner Familie ist es noch nicht ganz so weit, obwohl sich die Eltern und drei Kinder in Den Haag sehr heimisch fühlen. Kein Wunder, von 1996 bis 2004 haben sie schon einmal hier gewohnt. Es folgten vier Jahre in Hamburg, nach denen Jörg Kehlen dann erneut eine Aufgabe im Head Office von Unilever in Rotterdam annahm. "Wir sind im Oktober 2008 zurückgegangen", sagt er. "Zurückgegangen ..."

Im selben Moment wundert er sich selbst ein bisschen über diese Formulierung, die mehr emotionale Nähe zu Den Haag als zu Hamburg oder seinem ursprünglichen Heimatort im Ruhrgebiet vermuten lässt. Beim Thema Fußball hat die Verbundenheit allerdings seine Grenzen: "Als mein Sohn das erste Mal mit orangefarbenem Trikot ankam, war ich schon irritiert", gesteht Kehlen ein.

Als Finance Director arbeitet der 45-Jährige in Rotterdam mit einem Team von Mitarbeitern aus Frankreich, Italien, Südafrika und zahlreichen anderen Herkunftsländern. "Die Firmenkultur bei Unilever ist länderübergreifend und so kann man schwer unterscheiden, was original Niederländisch ist", sagt er. Was er aber immer wieder feststellt, ist, dass die Niederländer im Geschäftsleben doch um einiges pragmatischer sind als die Deutschen. "Holländer diskutieren nicht monatelang über jedes Detail, bevor sie ein Projekt in Angriff nehmen", hat Jörg Kehlen erfahren. "Deutsche streben schon vorab nach Perfektion, der Niederländer sagt: 'Das entscheiden wir dann, wenn wir dort sind'." Das sei ergebnisorientiertes Arbeiten - und ihm persönlich gefalle dies sehr gut.

Ebenso wie die niederländische Angewohnheit, sich mittags mit einem "Brodje" und Buttermilch zu begnügen. "Niederländische Familien essen meist erst abends warm", erzählt Kehlen. "Denn dann kommen die Kinder aus der Ganztagsschule." Auch er bemüht sich, um 18, spätestens 19 Uhr Feierabend zu machen. "Hier ist das gemeinsame Abendessen ein Event - und das haben wir uns auch angewöhnt."

Im Berufsleben wird geduzt. Mit dem niederländischen "u" ("Sie") angesprochen würden eigentlich nur ältere Leute oder jemand, demgegenüber man ganz besonders höflich sein wolle. Ausnahmen bestätigen die Regel: Der niederländische Bayern-Trainer Louis van Gaal machte kürzlich Schlagzeilen mit dem angeblichen Eingeständnis, dass er sich von seinen Töchtern siezen lässt. Dabei bedeutet die Anrede mit "Du" und dem Vornamen in Holland gar nicht mal eine besondere Vertrautheit. "Mein erster niederländischer Chef hat das mal so erklärt: 'Wir duzen uns, aber das heißt nicht, dass wir die besten Freunde sind'", erinnert sich Kehlen. "Man kritisiert oder streitet sich trotzdem." Ein "Du" habe längst nicht den Wert, der ihm in Deutschland beigemessen werde.

Doch auch das "Du" ist eine kleine Zutat zur allgemeinen Atmosphäre. "Hier ist alles ein bisschen ungezwungener und entspannter", sagt Jörg Kehlen. Statussymbole seien nicht so wichtig. "In Deutschland setzen sich viele Leute da unter enormen Erfolgsdruck." Auch in Sachen Vorschriften seien die Niederländer ihren Nachbarn einen Schritt voraus. "Hier glaubt man nicht daran, dass man die Welt retten kann, indem man sich noch mehr Regeln auferlegt."

Dass die Niederlande ein liberales und tolerantes Land seien - Jörg Kehlen bestätigt das. "Vorurteile Deutschen gegenüber erlebe ich im Alltag nicht", sagt er. Stereotype Darstellungen von Deutschen, zum Beispiel Lederhosen tragend in der Werbung, nimmt er schmunzelnd hin. In Deutschland werde ja auch mit Frauen in holländischer Tracht für Käse geworben. Oberflächlich betrachtet gebe es in den Niederlanden zwar ein erhöhtes Interesse an der Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und daran, wie der Nachbar heute mit Neonazis umgeht. "Aber wenn man sich persönlich mit Niederländern unterhält, wird klar, dass auch sie wissen, dass sie damals keine Engel waren und dass es in jeder Gesellschaft einen rechten Bodensatz gibt."

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