Udo Geske ist vor zwei Jahren ausgewandert. Ihm gefällt der Pragmatismus der Wiener.

Udo Geske hat sich nicht einfach nur von seiner Firma entsenden lassen - er hat gleich den großen Schritt gewagt und ist ausgewandert. 2007 zog es den Hamburger nach Wien. Lust auf einen beruflichen Neuanfang war auch dabei, der wichtigste Grund jedoch: Nach neun Jahren Fernbeziehung war der Unternehmensberater das Pendeln leid. "Außerdem sah es auf dem österreichischen Arbeitsmarkt viel besser aus, die Arbeitslosenquote dort ist durchweg halb so hoch wie in Deutschland", sagt der 51-Jährige. Er hatte nicht das Gefühl, mit seiner Kündigung ein großes Risiko einzugehen.

Zu Recht: Bei der Unternehmensberatung Capgemini unterschrieb er kurz darauf einen Vertrag als Leiter des Change Management Österreich und Osteuropa. Zwei Tage später hatte er eine Wohnung gefunden. "Über eine Freundin", sagt Udo Geske. "In Wien funktioniert vieles über die sogenannte Freunderlwirtschaft. Das ist Teil der Gesellschaft." Viele Wohnungen zum Beispiel seien Gemeindeeigentum und dürften erst an Neu-Wiener vermietet werden, wenn diese dort zwei Jahre in einer Wohnung gemeldet sind. "Unter Freunderln gibt es Alternativen."

Lange hielt es Udo Geske in seinem neuen Job allerdings nicht aus: "Es passte aus verschiedenen Gründen nicht. Unter anderem war das Unternehmen extrem leistungsorientiert, Feierabend gab es eigentlich nicht", sagt er. "Das hatte absolut nichts von der sprichwörtlichen Wiener Gemütlichkeit." Zurück nach Hamburg und wieder pendeln wollte er nicht. Also machte sich Geske Anfang 2009 als Coach, Trainer und Berater selbstständig. Seine Lebensqualität sei dadurch eindeutig gestiegen, sagt der Ex-Hamburger.

Abgesehen von der Freunderlwirtschaft, die auch im Arbeitsleben immer präsent ist - "bis hin zur Korruption" -, fallen dem Freiberufler wenige Unterschiede im Beruf auf. "Der Arbeitsmarkt hier ist sehr international, zum einen dadurch, dass Uno, Opec und andere internationale Organisationen hier Amtssitze haben, zum anderen, weil Österreich ehemals ein Vielvölkerstaat war", erklärt er.

Im privaten Bereich empfindet Geske Hamburg und Wien jedoch als "maximalen Unterschied in Mitteleuropa". Auf der einen Seite die freizügige, liberale Hansestadt mit viel Wasser, auf der anderen die kompakte, katholische Residenzstadt. Dennoch schätzt der gebürtige Hamburger vieles an Wien, etwa den Pragmatismus der Einheimischen: "Hier gibt es viele Verbote", sagt er. "Aber keiner hält sich dran!" Über anderes kann er schmunzeln: Provisorien, wie die Kurzparkzettel, die an Kiosken verkauft werden, weil es keine Parkautomaten gibt, "sind in Wien für die Ewigkeit".

Im Gegensatz zu den Hamburgern, die schon beim schwächsten Sonnenstrahl die Außenbereiche der Cafés bevölkern, seien die Wiener eher "Frischluftphobiker". "Hier setzt man sich auch bei gutem Wetter gern ins Kaffeehaus", hat Geske beobachtet. "Und die Häuser haben längst nicht so viele Balkone wie in Hamburg." Die Einwohner seien sehr stolz auf ihre Stadt. "Gerade hat Wien den ersten Platz in einem Ranking aller Großstädte weltweit erreicht - für die Lebensqualität." Geske wundert das nicht. Ihm selbst gefällt an der Stadt, dass das Wetter stabiler und besser ist als in Hamburg, dass man zum Heurigen (ein rustikales Weinlokal) aufs Land fahren oder auf der 20 Kilometer langen Donauinsel schwimmen, Rad fahren und Steckerlfisch (Fisch auf dem Spieß) essen kann.

"Den typischen Wiener" gebe es natürlich nicht, sagt der Diplom-Psychologe. Dennoch stellt er in der Gesellschaft einen merkwürdigen Gegensatz fest: "Sie ist beides zugleich - international und fremdenfeindlich." Am rechten Rand existiere ein Wählerpotenzial von 30 Prozent. Andererseits gebe es natürlich auch Wiener, die Ausländern gegenüber sehr entgegenkommend seien, hat Geske erfahren. Dass er manchmal - natürlich scherzhaft - "Piefke" gerufen wird, stört ihn nicht. "Da bleibt man sich nichts schuldig", sagt er. "'Alpenkänguru' hören die Österreicher auch nicht so gern."

Nach Hamburg zurückzukehren ist für Udo Geske keine Überlegung wert. Ab und zu kommt er noch auf Besuch. "Zu häufig zu fahren hilft aber nicht beim Eingewöhnen in einer neuen Umgebung. Man muss sich für das Neue entscheiden, sonst wird das nichts." Heute sagt er: "In Norddeutschland ist meine Heimat, aber mein Zuhause ist Wien."

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