Um nicht missverstanden zu werden, setzt Sylvia Latimer Mimik und Gestik nur spärlich ein.

"Zu Hause ist für mich da, wo Familie und Job sind", sagt Sylvia Latimer. Die Hamburgerin hat sich nicht nur daran gewöhnt, im Ausland zu arbeiten, ihr macht das richtig Spaß. "Ich bin schon immer reisefreudig gewesen", erzählt die 42-Jährige. Fünf Jahre lang hat sie Ende der 90er bereits in Singapur gearbeitet, davor war sie schon einmal drei Jahre in Mexiko-City tätig - immer für Beiersdorf und immer mit ihrer Familie. Seit Februar 2007 arbeitet sie jetzt in Tokio, als Marketing Director bei Nivea Kao, einem Joint Venture von Beiersdorf.

Ihr Mann und die beiden jüngsten Söhne (heute 7 und 10 Jahre alt) sind wieder dabei. Die erwachsenen Kinder, 20 und 22, leben inzwischen in den USA. "Natürlich waren die beiden Kleinen damals erst einmal dagegen wegzuziehen", erinnert sich Sylvia Latimer. Aber die Eltern haben es geschafft, sie mit wohldosierten Häppchen - zum Beispiel mit Japanischunterricht - neugierig zu machen. Heute stellt Latimer fest, dass gerade die Kinder sehr von ihrem Umzug profitieren: "Sie gehen ganz selbstverständlich mit Leuten aus anderen Kulturen um, das haben sie vor allem hier gelernt."

Die Kollegen in Tokio waren erst mal überrascht, als Sylvia Latimer ihren Job antrat. "Obwohl Frauen in der japanischen Geschäftswelt gut vertreten sind, ist es immer noch ungewöhnlich, dass eine Frau einen Direktoren-Posten übernimmt", erklärt sie. Und dann noch eine Europäerin. "Die Mitarbeiter sind mir aber mit großer Neugier entgegengekommen", erinnert sie sich. "Beide Seiten mussten sich eben erst einmal aufeinander einstellen." Dass sie bis heute hin und wieder mit zum Karaoke geht, hat dabei geholfen. Nützlich war auch, dass sie bereits 1990 als Stipendiatin des Hamburger Übersee Clubs an einer Tokioter Uni studiert und anschließend ein Praktikum bei Nivea Kao absolviert hatte. "Die Kommunikation ist hier viel indirekter", sagt Latimer. "Als Europäer darf man in Diskussionen nicht ungeduldig werden." Offene Konflikte würden sowieso vermieden, das Wort "Nein" werde äußerst selten gebraucht. "Das ist etwas schwierig", sage man dann. "Und auf Deutsch heißt das: Es geht nicht!"

Der Chefin gegenüber würde man aber noch nicht einmal "Das wird schwierig" sagen. "Das musste ich auch erst einmal verstehen lernen", sagt Sylvia Latimer. Genauso wie die Tatsache, dass Fragen der Chefin generell als Anweisung gelten. "Ich musste meinen Mitarbeitern erst einmal verständlich machen, dass ich - wenn ich jemanden nach seiner Meinung zu einer Idee frage - auch wirklich eine Meinung hören will."

In ihrer Firma ist Japanisch die Geschäftssprache. Sehr viel von dem, was gesprochen wird, versteht Sylvia Latimer auch. Einmal die Woche nimmt sie Unterricht. "Allerdings ist Japanisch eine Sprache, die man als Ausländer nie richtig kann." Oft hat Latimer ihre Übersetzerin dabei. Nicht jeder in ihrem 17-köpfigen Team spricht so gut Englisch, dass sie problemlos in diese Sprache ausweichen kann.

Die Art, Meetings abzuhalten, unterscheide sich stark zwischen Japan und Deutschland, sagt sie. "In Japan gibt es keine Überraschungen." Denn das meiste werde schon im Vorfeld zwischen den Teilnehmern abgesprochen. "Darum dauern Entscheidungen auch immer sehr lange." Im Vorfeld könne kritisiert und können Bedenken vorgetragen werden. So ganz deutlich werden Japaner aber auch dabei nicht: "Für sie ist es wichtig, zwischen den Zeilen zu lesen - und in der Körpersprache des Gegenübers." Um nicht missverstanden zu werden, versucht Latimer selbst darum im Büro stets sparsam mit Mimik und Gestik umzugehen.

Wie alle Tokioter fährt auch Sylvia Latimer mit der U-Bahn ins Büro. "In Deutschland kennt man den Anblick aus Fernsehreportagen: Da stehen Schaffner vor den Türen und quetschen die Leute richtiggehend hinein - da bin ich jeden Morgen mittendrin." Besonders viele Expatriates gebe es in Tokio nicht. "Im Stadtbild fallen sie gar nicht auf." Mit ihrer Familie lebt sie in einem Mehrparteienhaus, in dem sonst nur Japaner wohnen. Was fehlt? Der Garten! Mit den Nachbarn grüßt man sich - natürlich auf Japanisch. "Das gehört doch dazu", findet Sylvia Latimer. "Einfach um zu zeigen, man bemüht sich."

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