So arbeitet man in der Welt: Ab heute porträtieren wir hier Norddeutsche, die es in die Ferne zog.

Jürgen Schmitz denkt noch nicht daran, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Dafür gefällt es ihm in Istanbul zu gut. Seit Juni 2008 lebt er am Bosporus. Der 37-Jährige wurde von seinem Arbeitgeber, der Ergo Versicherungsgruppe, dorthin entsandt. Jetzt arbeitet er als Vorstand für Finanzen, Personalwesen und IT in der Geschäftsführung von Ergo Turkey.

Istanbul hat 12,5 Millionen Einwohner. Schwierig, sich dort zurechtzufinden? Nicht wirklich. Seit jeher reist Jürgen Schmitz gern. Außerdem hat der diplomierte Sinologe und Wirtschaftswissenschaftler ein Jahr in Peking studiert - das mit 7,7 Millionen Einwohnern auch eine eindrucksvolle Einwohnerzahl aufweisen kann. Schmitz spricht nicht nur fließend Englisch, sondern auch gutes Russisch, Mandarin und Japanisch - und nun auch noch Türkisch.

Nach vielen Jahren in Hamburg konnte er sich schrittweise an den Einstieg in Istanbul gewöhnen. Vor dem kompletten Umzug war er schon mehrere Monate im Rahmen eines Projekts in der Riesenstadt tätig. Sein Tagesablauf unterscheidet sich heute nicht sehr stark vom Arbeitsalltag, wie er ihn zuvor an den Ergo-Standorten Hamburg und Düsseldorf erlebt hat. Auch in Sachen Business-Kleidung oder beim gemeinsamen Feierabend-Getränk gebe es keine anderen Gewohnheiten als in deutschen Büros. Der Arbeitsstil in seinem fast rein türkischen Team sei dagegen schon ein anderer: "Die Mitarbeiter hier achten viel mehr auf die Hierarchie", sagt Schmitz. "Was der Chef sagt, gilt sofort als gesetzt - selbst wenn ich eigentlich erst einmal mit meinem Team brainstormen möchte." Das müsse man begreifen, um auch Vorschläge der Mitarbeiter herauskitzeln zu können. Jetzt hält Jürgen Schmitz sich in einigen Situationen erst einmal mit eigenen Ideen zurück und lässt seine Mannschaft zum Zuge kommen. "Beide Seiten lernen nach und nach, miteinander umzugehen."

Apropos "Mannschaft" - wie sieht es denn eigentlich mit Frauen in Istanbuls Geschäftsleben aus? "Sie sind hier gerade in höheren Positionen viel stärker vertreten als in Deutschland", hat Schmitz festgestellt. Eine Tatsache, die Deutsche ohne Türkei-Erfahrung, denen er davon berichtet, immer wieder wundert.

Jürgen Schmitz hat ein Talent für Sprachen: Seit einem Jahr erst lernt er Türkisch und beherrscht es schon ganz gut. "Ich verstehe fast alles, was Mitarbeiter und Kollegen reden, und ich kann mich meistens verständlich machen." Geht es um wichtige Themen, greift er aber doch auf Englisch zurück. Aber vielleicht nicht mehr für lange, denn er lernt engagiert weiter: Drei- bis viermal pro Woche hat er Privatunterricht. "Abends oder schon frühmorgens vor der Arbeit, je nachdem, wie es passt." Das verlängert seinen Arbeitstag natürlich noch mal um einiges, aber das nimmt Schmitz gern in Kauf.

Den alltäglichen Verkehrsstau dagegen akzeptiert er weniger gern - aber ändern lässt sich die Situation ja auch nicht. Der öffentliche Nahverkehr erfüllt noch nicht wirklich den Bedarf der Millionenstadt. Das Autobahnnetz um Istanbul ist zwar gut ausgebaut, dem Verkehrsaufkommen aber immer noch nicht gewachsen. Lange Staus etwa auf den Autobahnen, die über die beiden Bosporus-Brücken führen, sind normal. "Aber man lernt, das einzuplanen", sagt Schmitz. "Dann fährt man zu seinem Termin eben eine Stunde früher los, als man es in Deutschland tun würde."

Als Exot empfindet er sich in Istanbul nicht. "Hier arbeiten sehr viele Expatriates", sagt er. Aus europäischen Ländern ebenso wie aus den USA. "Die Istanbuler sind an Ausländer gewöhnt." Ihm gefällt, dass er nicht in einem Ausländer-Getto wohnt, wie es viele Expats (die von einer Firma entsandten Mitarbeiter) zum Beispiel in China tun müssen. "In meiner Nachbarschaft sind die meisten Häuser an Türken vermietet, nur wenige an Expats", sagt er. "Eine angenehme Mischung." Und sie hilft beim Türkischlernen - ebenso wie Schmitz' Ausflüge in andere Regionen des Landes, die er, sooft ihm Zeit dafür bleibt, unternimmt. "Gerade dort trifft man auf die berühmte Gastfreundschaft der Türken", sagt er. Freundlich, aufgeschlossen und großzügig - so habe er seine Gastgeber bislang immer erlebt.

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