Biathlon: Sven Fischer gewinnt sein erstes Einzelgold bei Olympia. Der “halbe Norweger“ überragte alle und geht jetzt als Favorit in das Verfolgungsrennen.

Cesana Torinese. Sven Fischer lag regungslos im Zielraum. Nur sein Oberkörper bebte leicht, weil der Mund von den Strapazen des 10-km-Rennens nach Luft schnappte. 20, 40, 60 endlos lange Sekunden lag er da und wollte gar nicht mehr aufstehen, zurückkehren ins dröhnende Diesseits des Biathlonstadions von Cesana-San Sicario. Erst als ein Helfer kam und ihn an die Schulter faßte, schien Fischer wieder aufzuwachen aus einem Traum, der gerade Wirklichkeit geworden war. Der 34 Jahre alte Oberhofer war zu olympischem Gold gelaufen.

Sven Fischer konnte das zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Mit Startnummer 25 war er ins Rennen gegangen, 65 Konkurrenten befanden sich noch auf der Strecke. Deshalb habe er auch nicht an den Sieg gedacht. "Mir gingen so viele Momente meiner Karriere durch den Kopf, schöne und nicht schöne", sagte Fischer. Er habe diesen Augenblick der Meditation im Ziel gebraucht: "Ich wußte ja, daß es mit der Ruhe bald vorbei ist." Und er wußte, daß es ein perfektes Rennen war, wahrscheinlich das beste seines Lebens, in dem er schon so viele große Erfolge eingeheimst hat: sieben Weltmeistertitel, 33 Weltcupsiege, zweimal den Gesamtweltcup. Und zwei olympische Goldmedaillen, beide mit der Staffel.

"Einen Sprint ohne Schießfehler zu überstehen ist ein Traum", sagte Fischer. Dabei habe er auf dem stumpfen Schnee nur mühsam seinen Rhythmus gefunden. Erst als er den liegenden Anschlag fehlerfrei bestanden hatte, "da wußte ich: Heute geht's". Die Schlußrunde habe er dann "nur noch heruntergerammelt", die erstklassigen Zeitvorgaben der Norweger Halvard Hanevold und Frode Andresen im Nacken. 8,2 und 19,7 Sekunden Vorsprung konnte Fischer über den Zielstrich retten.

Auf dem Siegerpodium ergab sich somit ein ähnliches Bild wie schon beim Einzelrennen zum Auftakt: ein Deutscher vor zwei Norwegern. Für Hanevold aber ist Fischer ohnehin "ein halber Norweger: Sven ist sehr populär bei uns". Und Andresen versprach dem Sieger, der eine norwegische Frau hatte und die Landessprache beherrscht: "Er bekommt jetzt noch mehr Lachs von uns."

Am Sonnabend war es noch Michael Greis gewesen, der ganz oben gestanden hatte. Gestern aber hatte der Allgäuer "das Gefühl, an einem Gummiseil zu hängen". Nach drei Schießfehlern landete er mit mehr als zwei Minuten Rückstand auf Rang 35. Weit besser sind die Aussichten auf das Verfolgungsrennen am Sonnabend für Ricco Groß (6., 1:03 Minuten zurück) und Alexander Wolf (15., 1:22).

Fischer aber versicherte, frühestens heute an diesen kommenden Lauf zu denken und daran, daß er als Favorit ins Rennen gehen wird. Er wolle den Erfolg bewußt genießen. Olympiasieger war er schon 1994 und 1998 mit der deutschen Staffel, "aber damals war ich so jung, daß ich gar nicht wußte, was ich gemacht habe". Mit dem gestrigen Triumph hat Fischer den Rodler Georg Hackl in der Rangliste der erfolgreichsten deutschen Olympioniken von Rang fünf verdrängt.

Daß der Hobbyjäger in Turin überhaupt dabeisein kann, stand im vergangenen Sommer noch in Frage, Sven Fischer hatte andere Sorgen als Olympia. Bei einem Trainingssturz auf Skirollern in Frankreich hatte er sich den rechten Daumen ausgerenkt. "Ich hätte den Finger verlieren können, wenn sich die Wunde entzündet hätte." Deshalb galt sein Dank gestern auch den Ärzten in der Freiburger Uniklinik, die ihn erfolgreich operiert hatten.

"Solange Körper und Geist in Einklang sind, mache ich weiter", sagt Fischer. Seine Eigenarten aber wird er nicht ablegen: das Unterspannergewehr, das nur er benutzt, das Laufen ohne Handschuhe, die Schubstöcke, die aus der Mode geraten sind. Sven Fischer ist alldem treu geblieben, es hat sich ausgezahlt.

Ob er 2010 in Vancouver wieder dabei ist, will Sven Fischer erst am Ende der Saison entscheiden. "Das werden wohl meine letzten Spiele sein", meinte er gestern, "aber das Gleiche habe ich vor vier Jahren ja auch schon gesagt."