Rodeln: Otto siegte vor Kraushaar und Hüfner

CESANA TORINESE. Sylke Otto mußte nicht den Kopf heben, um zu wissen, daß sie es geschafft hatte. Kaum hatte sie zum vierten Mal auch die letzte Kurve der Eisbahn von Cesana-Pariol gemeistert, streckte sie beide Fäuste nach oben wedelte sie durch die Luft. Erst als sich die Oberwiesenthalerin von ihrem Rodelschlitten aufrichtete, konnte sie auf der Anzeigetafel sehen, daß ihr der voreilige Jubel über den zweiten Olympiasieg ihrer Karriere beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Ganze 0,136 Sekunden der zuvor gut dreieinhalb Zehntel Vorsprung auf ihre Oberhofer Teamkollegin Silke Kraushaar waren übriggeblieben. "Ich hätte nicht gedacht, daß es so knapp war", gestand Otto, "ich war mir ganz sicher, daß es gereicht hat."

So kam am Ende doch noch ein wenig Spannung auf in einen Wettbewerb, der von den Deutschen so dominiert wurde, daß es nur um die Frage zu gehen schien, wie die drei die Medaillen untereinander aufteilen. "Einer geht noch, einer geht noch rein", krächzten die etwa 100 deutschen Fans an der Bahn bei Ottos Start, die Stimmen schon ganz heiser vom vielen Feiern. Zu diesem Zeitpunkt hatte Tatjana Hüfner aus Oberwiesenthal bereits den dritten Platz sicher.

Gold, Silber, Bronze, wie vor vier Jahren. Der Medaillensegen kommt wie das zwingende Ergebnis einer Überlegenheit daher, die nun schon seit 1997 anhält. Seither gab es 65 Damenrennen und nicht eine einzige Siegerin, die nicht aus Deutschland stammen würde. Doch das hat das Unternehmen eher schwieriger gemacht, wie Bundestrainer Thomas Schwab aus leidvoller Erfahrung weiß: "Auch 1992 und 1994 haben wir den ganzen Winter dominiert und mußten dann bei Olympia mit ansehen, wie sich plötzlich andere die Goldmedaille abholten."

Die Art und Weise, wie Otto das gestern gelang, kann man nur als souverän bezeichnen. Dreimal setzte sie die Laufbestzeit, einzig im abschließenden Durchgang wurde sie von Hüfner und Kraushaar abgefangen. Bei ihrem Sieg vor vier Jahren in Park City sei sie viel nervöser gewesen, erzählte Otto später. Den Coup zu wiederholen, was vor ihr nur der DDR-Rodlerin Steffi Walter-Martin (1984 und 1988) gelungen war, sei aber "sehr viel schwieriger gewesen als beim ersten Mal".

Dabei sah alles so leicht aus. Und das auf einer anspruchsvollen Bahn, die wieder ihre Opfer forderte: Die Österreicherin Sonja Manzenreiter und die Italienerin Anastasia Oberstolz Antonova mußten ihre Medaillenhoffnungen nach Stürzen aufgeben.

Mit dem gestrigen Dreifachtriumph ist die deutsche Kufen-Dynastie auf ihrem vorläufigen Gipfel angekommen. Er könnte aber auch deren schleichendes Ende eingeläutet haben. Sylke Otto ist 36 Jahre alt, sie will "zu 70 Prozent" noch ein Jahr dranhängen. Ein dritter Olympiasieg aber ist kein Ziel für sie. Otto hat pharmazeutisch-technische Assistentin gelernt, sie sagt, ihr Chef warte schon auf sie.

Silke Kraushaar (35), die Olympiasiegerin von 1998, hat nach Bronze vor vier Jahren nun ihre Medaillenkollektion komplettiert. Auch die Thüringer Sportsoldatin spricht wenig über Vancouver 2010 und viel über ihre Ausbildung als Erzieherin und Sportkauffrau. Die zweimalige Olympiazweite Barbara Niedernhuber (Königssee), die sich nicht qualifizieren konnte, ist ebenfalls jenseits der 30.

Wäre da nicht die 22jährige Tatjana Hüfner, man müßte sich vielleicht sogar Gedanken machen um die Zukunft des deutschen Frauenrodelns. Im November gewann sie auf ihrer Hausbahn Altenberg erstmals einen Weltcupwettbewerb, was auch Georg Hackl "beeindruckend" fand. Am Ziel sieht sich die Sportsoldatin noch lange nicht: "Erst wenn man zwei, drei Jahre beständig gut fährt, hat man den Durchbruch in die absolute Weltspitze geschafft."

Für die Konkurrentinnen könnte es noch eine Weile ungemütlich bleiben. "Die Deutschen haben so viel mehr Erfahrung als wir, wie soll ich da bloß mithalten?" klagte die viertplazierte US-Amerikanerin Courtney Zablocki gestern. Ein bißchen gedulden muß sich die 25jährige wohl noch, dann könnte ihre Zeit kommen. "Sylke und Silke werden irgendwann aufhören", meinte Zablocki. "Dann kann es interessant werden." Man möchte es dem Frauenrodeln wünschen. (Achim Leoni)