Oslo: Von der einst provinziellen Hauptstadt zur modernen Metropole. Ein Schloß, kühne Architektur und museale Schiffe - die Attraktionen in Norwegens Hauptstadt sind gut zu Fuß zu erreichen.

Peer Hageland ist Fremdenführer, und er liebt Ironie. Denn immer, wenn ihn seine Gäste fragen, was denn das Schönste an Oslo sei, lautet seine lakonische Antwort: "Die Umgebung natürlich." Mit einem Schmunzeln ergänzt er, daß ihn kürzlich - mitten im Stadtzentrum - zwei amerikanische Touristinnen mit einer Frage verblüfften: "Where is the city, please?"

Ganz unberechtigt ist die Frage nicht. Klein ist das Zentrum, das hufeisenförmig den Hafen an der Spitze des Oslofjords umschließt, groß das gesamte Stadtgebiet: Es umfaßt mehr als 450 Quadratkilometer - reichlich Platz für die rund 480 000 Einwohner. Nur etwa ein Drittel der Stadtfläche Oslos ist bebaut, den größeren Teil bilden Wälder und Seen, Parks und Gärten.

Wenige Minuten vom Zentrum entfernt ziehen sich Villenviertel die Hänge hinauf zum Holmenkollen. Der Hausberg der Hauptstadt, im Winter ein Skisportzentrum von olympischen Ausmaßen, verwandelt sich im Sommer zum Freizeitpark - mit Badeanstalt und Pferderennbahn, mit Jazz-Festivals und klassischen Open-Air-Konzerten. Und mit dem schönsten Ausblick, den die Stadt zu bieten hat: Ein Fahrstuhl führt hinauf zur Startplattform der Sprungschanze. Dort oben, 417 Meter über dem Meer, liegt dem Besucher Oslo zu Füßen.

Kaum vorstellbar, daß Norwegens Metropole vor einem guten Jahrzehnt noch als langweiligste Hauptstadt Europas galt - grau und ungemütlich, bieder und provinziell. Doch sie hat sich gemausert: An der Åker Brygge, nur wenige Schritte von der Anlegestelle der Kiel-Fähren entfernt, ist ein neues Freizeit- und Shoppingzentrum entstanden, eine moderne Glitzerwelt inmitten der ehemaligen Werft- und Hafenanlagen. Unter freiem Himmel und unter spiegelnden Glaskuppeln drängen sich heute Bars und Boutiquen, Kunstgalerien und Kneipen, Straßencafes und elegante Fischrestaurants. An den langen Holztischen vor den Pubs gibt sich Oslos sonnenhungrige Jugend dem Biergenuß hin - ein halber Liter für umgerechnet acht Euro! Doch was macht's? Norwegische Sommer sind kurz, die Dixie-Musik von Bord der Restaurantschiffe an der Hafenmole gibt's live und gratis - und die vielen alten Segelboote auf dem Wasser des Fjords verleihen der Szenerie ein Flair mediterraner Hafenromantik, eine Atmosphäre von beinahe südländischer Heiterkeit.

Apropos Süden: Was die Sonnenscheindauer betrifft, kann Oslo im Sommer mit Rom oder Athen mithalten. Zumindest in den Wochen zwischen Juni und August. Die Sonne macht reichlich Überstunden, und Temperaturen von dreißig Grad sind keine Seltenheit. Dann hält es die meisten Einwohner Oslos nicht länger in den eigenen vier Wänden: Mit Fähren oder dem Motorboot geht es hinaus zu den beliebten Badeplätzen der Stadt - zu den unzähligen Schären-Inseln draußen im Fjord.

Wer nicht mit dem Flugzeug in die norwegische Hauptstadt reist, sondern sich ihr auf dem Wasser nähert, kommt schon auf dem hundert Kilometer langen Weg durch den Oslofjord nicht aus dem Staunen heraus: Ein einzigartiges Naturschauspiel tut sich vor seinen Augen auf, ein Labyrinth aus Tausenden von Felsen und Klippen - glatt und glänzend geschliffen von den Gletschern der Eiszeit. Welch ein Kontrast dann bei der Einfahrt in den Hafen: Wie eine riesige Festung erhebt sich an der Promenade ein rotbrauner Klinkerbau - das Rathaus, Oslos monumentales Wahrzeichen, über dessen architektonische Qualität selbst die Meinungen der Norweger weit auseinander gehen. Nein, es seien nicht die "Kühltürme einer Fischfabrik", für die manche die wuchtigen Quader halten, sagt Hageland spöttisch.

Die Karl Johans gate, Oslos prächtige Hauptstraße, ist die Vorzeige-Meile der Stadt - Promenade, Aushängeschild, sie gilt zugleich als kürzeste Hauptstraße aller europäischen Metropolen - mit nur knapp einem Kilometer Länge. Grand-Hotels und elegante Kaufhäuser residieren hinter den großbürgerlichen Fassaden, unter den Bäumen im Park gegenüber tummeln sich an den warmen Sommerabenden Straßenmusikanten, Gaukler und Schaulustige bis spät in die Nacht. Hier liegen alle wichtigen Sehenswürdigkeiten Oslos: die Domkirche und das Parlament, die Universität mit ihrem klassizistischen Portal sowie das Nationaltheater. Und ganz am En- de, auf einer Anhöhe inmitten eines Parks, das 1825 bis 1848 erbaute Schloß. Auch die anderen Attraktionen Oslos sind in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen: die Nationalgalerie mit ihren Kunstsammlungen (Universitetsgata 13) und das Museum für den Maler Edvard Munch (Tæyengata 53). Oder der Frogner-Park mit der Skulpturen-Sammlung des Bildhauers Gustav Vigeland (1869-1943), darunter ein überdimensionaler Steinkoloß aus verschlungenen Menschenleibern - ein künstlerisches Kuriosum, über das selbst Fremdenführer Hageland die Stirn runzelt. "Schade, daß die Kunsträuber aus dem Munch-Museum nicht hier eingebrochen sind."

Im Dreißig-Minuten-Takt stampfen von der Hafenbrücke vor dem Rathaus Fährschiffe hinüber zur Halbinsel Bygdæy. Drei berühmte Schiffe sind auf der Museumsinsel vor Anker gegangen: die "Fram", ein dickbäuchiges, gedrungenes Holzschiff, mit dem die Polarforscher Fridtjof Nansen und Roald Amundsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die arktischen Gewässer an Nord- und Südpol vordrangen, die "Kon-Tiki", berühmt geworden durch eine Expedition des Norwegers Thor Heyerdahls, der mit diesem Nachbau eines indianischen Balsa-Floßes 1947 über den Pazifik segelte, und das Oseberg-Schiff, ein kunstvoll geschnitztes Relikt aus der Wikinger-Zeit. Jahrhundertelang hatten die Nordmänner mit ihren schlanken Drachenkopf-Booten den Nordatlantik durchquert - mutige, kühne Seefahrer, auf die Oslos Einwohner noch heute stolz sind.