Safaris mit Schlittenhunden samt Hüttenzauber - und auch auf ungewöhnliche Meeresbewohner trifft man hier.

Zwanzig Minuten ist Lars nun schon unter Wasser. Wir stehen auf der Eisfläche am Rande einer fast zugefrorenen Bucht des Varangerfjords am Nordkap, nur wenige Kilometer von der norwegisch-russischen Grenze entfernt. Die Kälte kriecht durch die dicken Thermostiefel und Overalls. Schwarz und unheimlich schwappt das Wasser in dem Eisloch zu unseren Füßen. Allmählich werden wir unruhig, zu lange schon dauert der Tauchgang von Lars. Doch dann sehen wir endlich Luftblasen aufsteigen. Sekunden später klettert ein seltsames Wesen über die Eiskante - bepackt mit unzähligen stachligen Krabbeltieren, die sich an seine Arme und Schultern, ja selbst an die Sauerstoffflasche auf seinem Rücken krallen.

Nein, es ist kein amphibischer Alien, keine arktische Medusa, was da im Wasser aufgetaucht ist. Lars hat sich die Beute seines Fischzugs einfach an den Neoprenanzug geheftet. Schon eine knappe Stunde später sitzen wir in dem roten Holzhaus am Fjordufer. Vor uns in den Weingläsern schimmert goldgelber Chablis, und aus der Küche durftet es verführerisch nach Kräutern, Knoblauch und frischem Fisch. "Königskrabben sind das neue Gold der Barentssee", sagt Lars. "Ihr Fleisch gilt als Delikatesse."

Doch die schmackhaften Meeresbewohner locken nicht nur Gourmets in den hohen Norden. Vor drei Jahren hat Lars in Jarfjodbotn, einem winzigen Ort unweit von Kirkenes, das "Artic Adventure Resort" gegründet - ein Erlebniszentrum für Wagemutige, die das Abenteuer in Eis und Schnee dem sonnigen Strandurlaub vorziehen. Auf dem Programm stehen Ski- und Schlittentouren, aber auch die Beobachtung von Orcas und Beluga-Walen sowie winterliche Tauchgänge zu den Riesenkrabben.

Was für Menschen wie Lars, die vom Tourismus leben, ein Segen ist, ist in den Augen vieler Ökologen und Naturwissenschaftler ein Fluch. Denn die Königskrabbe, auch Kamtschatka-Krabbe genannt, ist ein Eindringling aus den Eisgewässern vor der sibirischen Pazifikküste. Ihre Population in der Barentssee geht auf wenige Tiere zurück, die sowjetische Behörden in den 1970er-Jahren vor der Oblast Murmansk aussetzen ließen. Schon damals hatten die Kabeljau-Bestände im Nordmeer so stark abgenommen, dass der Fischfang nicht mehr rentabel war. Die Kamtschatka-Krabbe, so hofften sie, würde für die Fischer eine neue Erwerbsgrundlage schaffen.

Inzwischen sind die Einwanderer aus dem Pazifik an der norwegischen Küste südwärts gewandert - von Murmansk bis hinab zu den Lofoten. Nach Ansicht norwegischer Meeresbiologen könnte die Ausbreitung zu einer ökologichen Katastrophe führen, schließlich entwickeln die Krabbeltiere, die eine Spannweite von bis zu zwei Metern erreichen und fünfzehn Kilo schwer werden können, einen so großen Appetit, dass sie alles fressen, was ihnen vor die Sche- ren kommt. Dennoch: Nicht nur für den Tourismus, auch für die Wirtschaft nördlich des Polarkreises bedeutet das Auftauchen der Riesenkrabbe eine neue Einnahmequelle. Mehr als zwölf Millionen Euro flossen im vergangenen Jahr durch den Krabbenfang in die Kassen der Finnmark-Provinz am Nordkap - der größte Teil davon durch den Export nach Japan, wo Feinschmecker gern bis zu 100 Dollar für ein frisch zubereitetes Exemplar aus dem norwegischen Eismeer ausgeben.

"Mit dem Krabbenfang lässt sich viel mehr Geld verdienen als früher mit dem Dorschangeln. Das ist wirklich eine große Chance für die Menschen, die hier oben in der ärmsten Gegend Norwegens leben", sagt Kare Sellevær, Kapitän der "Nordstjernen", eines der schönsten und ältesten Schiffe der norwegischen Hurtigruten. Kare Sellevær muss es wissen: Jede zweite Woche steuert er seinen Dampfer nordwärts, von der Hafenstadt Bergen im Süden bis nach Kirkenes an der russischen Grenze. Zwar ist das Nordkap von Norwegens Hauptstadt Oslo aus in gut zwei Flugstunden zu erreichen, doch die Fahrt entlang der wild zerklüfteten Küste Norwegens gilt als eine der schönsten Seereisen der Welt, vorbei an blank gescheuerten Fjells und tiefen Fjorden, die eiszeitliche Gletscher in Jahrhunderte langer Schürf- und Hobelarbeit in die Küste geschliffen haben.

Die Finnmark-Region zählt zu den am dünnsten besiedelten Gebieten Skandinaviens. Nur knapp 70 000 Menschen leben hier auf einer Fläche von der Größe Niedersachsens - unter ihnen rund 30 000 Samen, Nachkommen der Urbevölkerung Lapplands. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war die Finnmark ein Niemandsland, in dem die "Kinder der Sonne", wie sich die Samen einst nannten, mit ihren Rentierherden umherzogen. Mit dem freien Leben war es vorbei, als Norweger und Schweden, Finnen und Russen das Gebiet unter sich aufteilten. Die Kultur der Samen wurde ausgelöscht, ihre Religion, in der die Natur aus beseelten Wesen besteht, unterdrückt, die Tundra, Weidegrund ihrer Rentiere, staatlich aufgeteilt, ihre Sprache verboten.

Heute gelten sie als anerkannte Minderheit, gleichberechtigt wie alle anderen Bürger Norwegens. Längst sind die meisten von ihnen sesshaft geworden, arbeiten in den Büros und Fabriken der Städte oder im Tourismus. Auch Jens-Petter Jansson, in Hammerfest, der nördlichsten Stadt Europas, geboren, ist stolz auf seine samischen Vorfahren. Zusammen mit Freunden hat er unweit von Kirkenes ein Safari-Camp aufgebaut - für Ski- und Schlittentouren mit Hüttenzauber und Picknick im Schnee. Oder für Safaris mit Husky-Hunden, Rentieren und Schneescoootern auf dem zugefrorenen Pasvik-Fluss entlang der norwegisch-russischen Grenze. "Wir haben hier keine Abfahrtspisten wie in Südnorwegen", sagt Jens-Petter, "aber die Urlauber, die im Winter so weit in den Norden fahren, wollen ja auch etwas anderes erleben - die Weite und Wildnis der arktischen Landschaft, die Einsamkeit und Unberührtheit, das Licht am Nordkap, das gerade jetzt, wenn die Tage wieder länger werden, so viele verschiedene Farbtöne hervorbringt."

Bis vor fünf Jahren wäre jeder winterliche Abstecher zum Nordkap unmöglich gewesen. Die Straße war gesperrt, zu gefährlich erschien der Weg. Jetzt räumen Schneepflüge täglich die Piste frei. Jens-Petter: "Im Sommer wimmelt es auf dem Nordkap wie in einem Ameisenhaufen. Wenn du aber an einem Tag im Februar da oben stehst, allein auf diesem archaischen Felsklotz, und du weißt, dass mehr als tausend Kilometer vor dir nichts ist außer Wasser und Eis - das ist ein Eindruck, den du niemals vergisst."