Weiße Städte, grünes Land - und eine Küste, die kaum Wünsche offen läßt. Ein Streifzug durch Særlandet.

Weit geht der Blick über die Ebene von Lista. Felder, Weiden, Laubwälder, entfernte Höfe reichen bis zum Horizont, der langsam in gebirgige Höhen aufsteigt. Das also soll . . . ?

Hans-Egill Bergen lacht und unterbricht mein Staunen: "Ja, auch das ist Südnorwegen. Wir Norweger nennen die Halbinsel Lista die Fortsetzung des dänischen Jütland - denn so flach ist unser Land sonst nirgendwo." Der Kaufmann muß es wissen, schließlich ist die Halbinsel Lista nicht nur Ort seiner Kindheit, sondern - nach Jahren im Ausland - nun auch Wahlheimat. "Bei uns findest du alles", schwärmt der 45-Jährige, "einsame Sandstrände, Dünen, Seen, Feuchtbiotope und eine für unser Königreich fast untypisch artenreiche Pflanzen- und Vogelwelt."

Tatsächlich ist Lista eine der ältesten Landschaften Norwegens, geformt von der Eiszeit vor 13 500 Jahren. Der südwestliche Zipfel der Region Særlandet ist wegen seiner Lage am offenen Meer nicht nur bei Sommergästen beliebt. Auch zahlreiche Zugvögel machen hier im Frühjahr und Winter Station. "Unter den 60 bis 80 Arten", erzählt Hans-Egill Bergen beim Besuch im kleinen Lista Naturmuseum, "sind Eissturmvogel und Baßtölpel besonders typisch." Beim Blick vom 38 Meter hohen Leuchtturm "Lista Fyr" scheinen Nordsee, Himmel und Gebirge ineinander zu verschmelzen. Und man erkennt sofort, welche immense Bedeutung das Leuchtfeuer als Navigationshilfe für Seefahrer im 19. Jahrhundert hatte.

Seine anderen, schon eher typischen Seiten zeigt Südnorwegen bereits bei der Fähranreise über den Skagerrak nach Kristiansand. Zunächst tauchen Inseln und Schären auf, gleich dahinter steigen Berge bis auf 1000 Meter an. In den tiefen Wäldern ist der größte Elchbestand des Landes zuhause. Das 200 Kilometer lange Setesdal, das die 1641 von König Christian IV. gegründete Hafenstadt Kristiansand mit dem Gebirgsort Hovden verbindet, war über Jahrhunderte wichtigster Transportweg zwischen Südküste und Fjordnorwegen. Noch heute zeugen alte Höfe, Silberschmuckkunst oder Volksmusik von dieser Blütezeit. Aktivurlauber finden im Setesdal und seinen Nachbargebirgen ein sportliches Spektrum, das von Rad- und Kanutouren bis zum Wildwasser-Rafting reicht.

Særlandets eigentlicher Reichtum aber sind die sogenannten "weißen Städte", geprägt von ihren weiß gestrichenen Holzhäusern. Zwischen Flekkefjord im Westen und dem Kunsthandwerkerort Risær im Osten liegen die Inselgemeinde Lyngær, die Bücherstadt Tvedestrand mit rund 20 Antiquariaten, Arendal, die "Schriftstellerstadt" Grimstad, Lillesand, Mandal und Farsund. Ihren Mittelpunkt bildet die kleine Großstadt Kristiansand - mit Fährhafen und Shoppingmöglichkeiten das urbane Herz Særlandets. 75 000 Menschen leben in Norwegens fünftgrößter Stadt, viele von ihnen in Posebyen, Kristiansands weißer Altstadt und Nordeuropas größtem Holzhausviertel aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Hier wie in den Nachbarorten erinnern die zahlreichen, liebevoll gepflegten Holzhäuser an die große Zeit der Südküste im 19. Jahrhundert. Schiffahrt, Bootsbau und weltweiter Handel brachten Reedern und Kaufleuten Reichtum. "In historisch stürmischen Zeiten half auch schon mal Unehrlichkeit", erzählt Siv Hemsett vom Amt Vest-Agder Fylkeskommune in Kristiansand und berichtet vom südlich von Farsund gelegenen Loshavn: "Zwischen 1807 und 1814, während der Napoleonischen Kriege, verwandelte sich der kleine Außenhafen in einen gefürchteten Freibeuterhafen." Doch das war eine historische Ausnahme.

Ihre charakteristische weiße Farbe verdanken Særlandets Küstenstädte einem gute Schuß Eitelkeit. Noch bis zum 19. Jahrhundert waren die Häuser in Südnorwegen meist rot und ockergelb gestrichen. "Die Trendfarbe Weiß haben sich die Handelsschiffer in Holland und England abgeschaut - so schick wollten sie es dann auch zuhause haben", sagt Siv Hemsett. Damals ein teurer Spaß, denn das Weiß war rund 70 mal teurer als das alte Rot. Erst nach 1860 wurde Herstellung und damit Preis des beliebten Anstrichs billiger - Südnorwegen begann zu erstrahlen, über alle Schichten hinweg.

Das bunte Leben beginnt in den Küstenorten bereits im Frühling, wenn Bootsbesitzer ihre Segelboote und Yachten flottmachen und Einwohner Häuser streichen und Gärten bepflanzen. Im Sommer kommen die Touristen, die von der "Riviera" Skandinaviens fasziniert sind, dann hinzu. Doch wer an der kontrastreichen Küste südländische Verhältnisse erwartet, liegt ziemlich falsch: Særlandets Sommerleben bleibt individuell, fast intim. Man wohnt wie beispielsweise auf der kleinen Insel Hidra unweit von Flekkefjord in einem der alten Holzhäuser, von denen viele heute begehrte Feriendomizile sind. Oder in einer echt norwegischen "hytta" auf einer Schäre, die nur per Ruderboot erreichbar ist. Auch in den Gasthäfen findet sich immer noch ein Platz zum Festmachen.

Richtig rummelig wird es eigentlich nur im August, wenn in Risær das alljährliche Holzbootfestival steigt. Dann bleibt zwischen den hunderten alter und klassischer Holzschiffe kaum eine Handbreit Wasser frei. Wer Handwerkskunst und maritime Traditionen schätzt, sollte das "Trebåtfestival" genannte Spektakel nicht missen. Wenige Tage später dreht sich auch im Hafenstädtchen Mandal alles ums Meer - allerdings dann um eßbare Varianten. Das "Skalldyrfestivalen" ("Schalentierfestival") kredenzt allerlei Meeresfrüchte von der Krabbe bis zum Hummer. Höhepunkt des Sommers in Kristiansand ist dagegen ein Rock- und Popfestival: das "Quartfestival", das in jedem Juli die City zum Klingen bringt.

Spuren der kulturellen Bedeutung Særlandets für Norwegen und die Weltliteratur können Gäste vor allem in Grimstad folgen. In der Stadt mit den meisten Sonnenstunden des Landes waren gleich die beiden größten norwegischen Schriftsteller zuhause - Henrik Ibsen und Knut Hamsun. Ibsen kam 1844 mit der Schaluppe "Lykkens Præve" nach Grimstad, um beim Apotheker Reimann in die Lehre zu gehen, zunächst im Reimanngraden in der Tverrstredet/Vestregate. Ab 1844 bis 1850 dann in der neuen Apotheke, die heute als Ibsenhaus in der nach dem Dichter benannten Straße Leben und Werk Ibsens (1828-1906) zeigt. Ein halbes Jahrhundert später ließ sich auch Knut Pedersen alias Knut Hamsun in Grimstad nieder. "Besorgt mir einen Sitz wie den eines Amtsrichters auf dem Lande, mit rauschenden Baumkronen" forderte der Literaturnobelpreisträger von einem Freund - und fand den Hof "Nærholm", auf dem er zwischen 1918 und 1952 lebte. Das Anwesen ist noch heute in Familienbesitz.

Unsere Rundreise endet bei einem norwegischen Superlativ: Der Hochseeangeltörn vom Fischerdorf Korshamn aus führt beim Weg hinaus auf See, vorbei am Leuchtturm "Lindesnes Fyr" - Norwegens südlichster Landmarke. Angeln gehört an der hunderte Kilometer langen Særlandküste wie selbstverständlich zum Programm. Ganz besonders natürlich in Korshamn, Norwegens südlichstem Fischerdorf mit nur rund 170 Einwohnern - und noch einmal sovielen Sommergästen in den Ferienhäusern.

Doch Korshamns Unterwasserwelt gehört nicht den (Hobby-)Fischern allein: Auch für Taucher sind die Meerengen, Wracks und Höhlen der Særlandküste ein bevorzugtes Revier.