Norwegen: Das größte Skigebiet bietet 65 Kilometer abwechslungsreiche Pisten. Die Gipfelkette des Trysilfjellet bietet ideale Wintersportbedingungen ohne Warteschlangen.

Die tiefstehende Sonne schickt gerade ihre ersten fahlen Strahlen durch die Wolkenfetzen über die Gipfelkette des Trysilfjellet. Der von Pistenraupen frisch gewalzte Schnee knirscht unter den Skikanten, die durch das noch jungfräuliche Rillenmuster schneiden. Es ist sieben Uhr morgens, und nur wenige Unerschrockene stehen bereits auf den Brettern. "Heute morgen habt ihr die schwarzen Pisten ganz allein für euch", lockt Runa die noch leicht verschlafene Gruppe in den Schlepplift.

Die blonde Norwegerin führt häufig Besucher durch ihren Heimatort Trysil, ein 3000-Einwohner-Nest knapp drei Autostunden nordöstlich von Oslo. Am meisten liebt die auch so früh am Morgen schon quietschfidele Tryslingerin - wie die Einheimischen sich nennen - das "Tidligski"-Fahren. "Das bieten wir speziell für Enthusiasten, das heißt nichts anderes als Frühski", erklärt Runa. Maximal 100 Tickets werden für dieses Frühaufsteher-Vergnügen ausgegeben, damit es nirgendwo zu Gedränge kommt.

Wobei Warteschlangen wie in den Alpen beim Wintersport in Norwegen unbekannt sind. Einer der wichtigsten Gründe dafür, sein Pistenvergnügen in Skandinavien zu suchen. Insgesamt 65 Kilometer Abfahrten und 27 Lifte locken im größten Skigebiet Norwegens an der Grenze zu Schweden. Auf den ersten Blick sehen die Berge harmlos aus wie im Harz, und mit 1132 Metern ist der Gipfel des Trysilfjellet auch nicht wirklich rekordverdächtig hoch. Durch das kontinentale Klima und die nördliche Lage aber herrschen hier Winter-Bedingungen wie in den Hochalpen - nur eben ohne Massenabfertigung.

Zuerst geht es in ein paar Schwüngen in die gemütliche Hütte von Hægegga, an der gleich sechs schwarze Pisten auslaufen. "Jetzt frühstücken wir erstmal", verkündet Runa, und ihre Mitstreiter laden sich auf norwegische Art die Teller voll: scheibenweise leckeren karamelartigen Käse, dazu Gurkenscheiben, Tomaten, Eier, Schinken und mehrere Sorten eingelegten Hering. Derart gestärkt trauen sich alle nach zwei Aufwärmabfahrten durch steile, aber bestens präparierte Waldschneisen die schwerste Herausforderung zu: Mit einmal Umsteigen geht es per Sessel- und Schlepplift zur höchsten Bergstation. Von ganz oben stürzen sich Mutige im nicht umsonst "Eksperten" genannten baumlosen Terrain auf einem Gefälle von bis zu 45 Grad talwärts. Die fast vier Kilometer bis zur Talstation sind scheinbar in Sekunden überwunden, einige lassen es schon richtig krachen, schließlich sind die Abfahrten beim "Tidligski" fast menschenleer.

Ab neun Uhr zeigen dann langsam auch gemächlichere Gemüter ihre Fahrkünste, jeder nach seiner Vorliebe und Form auf der Halfpipe für Snowboarder im eigens eingerichten "Parken"-Areal, im Kinder- und Anfängerskigebiet, wo ein Lift nach einer norwegischen Kinderbuchfigur "Tussi" heißt, oder auf großzügig breiten rot, blau oder grün markierten Pisten. "Schon vor 200 Jahren waren die Tryslinger bekannt als Norwegens beste Skifahrer", erklärt Runa, "und 1861 gründeten sie den ersten Skiverein der Welt."

Von hier stammt auch die Legende von Trysil-Knut, der berühmtesten Persönlichkeit des Ortes, die jeder Norweger kennt. Er war ein As im Skisprung, Abfahrtslauf und im Wettlauf mit Pferden, und schon 1857 erschien ein Gedicht von 30 Strophen über ihn. Trysil-Knut war vor allem eine Symbolfigur, die alle wichtigen Eigenschaften verkörperte wie Schnelligkeit, Zähigkeit und Wagemut. "Es ist nicht erwiesen, daß er wirklich gelebt hat; aber wenn, dann muß es gegen Ende des 17. Jahrhunderts gewesen sein", weiß Runa.

Heutzutage hat Trysil jeden Winter zumindest eine berühmte Persönlichkeit zu Gast, die ebenfalls Schnelligkeit und Wagemut verkörpert, und zwar sehr real: Der deutsche Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher besitzt seit über einem Jahrzehnt ein stattliches Ferienhaus in Trysil, in dem er sich mit seiner Familie immer zum Jahreswechsel einige Wochen aufhält. "Warst du schon bei Schumi?", fragen sich denn auch immer wieder deutsche Trysil-Gäste. Den Rennfahrer selbst bekommt kaum einer zu Gesicht, aber sein ausladendes Anwesen ist für jedermann von außen leicht zu besichtigen.

Es ist, wie die meisten Hütten in Trysil, sogar auf Skiern direkt von der Piste aus zu erreichen: Einfach von der blauen Abfahrt Nr. 13 die Abzweigung Nr. 3 nehmen in den Almenvegen und an der ersten Straßenecke nach links ist man da, sogar im Hüttenplan ist der ganz aus Holz gebaute, über 300 Quadratmeter große Komplex als Nummer 617 eingezeichnet. Ein hölzernes Tor markiert die Einfahrt zu einem großen Carport, und die Weihnachtsdekoration von Corinna Schumacher hängt oft noch bis ins Frühjahr hinein vor dem Eingang. Jeder im Ort hat Schumi schon mal gesehen, "aber die Leute lassen ihn in Ruhe, deshalb ist er so gern hier", weiß Runa. Zum Abendessen geht er gern auf eine Pizza zum einzigen Italiener "Il Conte", wo auch urnorwegische Gerichte wie Lakseplanke serviert werden: ein mächtiges Stück Lachs auf einem Holzbrett, garniert mit kunstvoll aufgespritztem frischem Kartoffelbrei.

Auch auf den weißen Pisten genießt der Rennfahrer mit Anhang den Rausch der Geschwindigkeit mal ganz ohne Motorenlärm. "Zur Tarnung wechselt er jeden Tag seinen Skianzug", so Runa. Einer der Höhepunkte jedes Schumi-Besuchs ist das traditionelle Fußballspiel mit den Kickern aus dem Nachbardorf Nybergsund, das der urlaubende Ferrari-Pilot dann als Stargast verstärkt. Mindestens einmal begibt sich Schumacher mit seiner Familie abends auf die urige Almhütte Knettsetra aus dem Jahr 1760. Dreimal pro Woche wird hier ein Fondueabend geboten, für 225 Norwegische Kronen (rund 28 Euro) gibt es Fleisch, Gemüse und Backkartoffeln in einem Ambiente, wie es urtümlich-skandinavischer nicht sein könnte. "Die Schumachers lieben das hier, sie reservieren sich die ganze Hütte, damit die Familie ungestört ist", weiß Runa.

Das schönste an einem gemütlichen Abend im Knettsetra aber ist der Rückweg, mancher gleitet unter dem leuchtenden Sternenhimmel auf Skiern fast lautlos zur eigenen Hütte zurück. Schumi allerdings, so wird berichtet, bevorzugt die rasante Fahrt durch die Einsamkeit - auf einem röhrenden Schneemobil.