Norwegens Wintergeheimnis zeigt sich in Hemsedal: einfache Anreise, lange weiße Saison - und immer Platz genug für alle.

Hemsedal. Es ist kurz nach sieben Uhr morgens. Eigentlich eine unchristliche Zeit für Skifahrer. Doch während anderswo Abfahrten und Lifte jetzt noch im Schlaf liegen, herrscht in der "Skistua" schon reger Betrieb. Ein Dutzend Wintersportler schart sich um das Frühstücksbüffet in der Talstation; draußen drehen die Sessel am Hollvinheisen-Lift schon ihre Runden. Schnell noch ein Brötchen mit norwegischem Käse auf die Hand, und dann nichts wie auf die Bretter.

Noch vor halb acht, die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Pisten in rosiges Licht, machen sich die Frühsportler auf den Weg nach oben. Pistenraupen haben alle Abfahrten in der Nacht zuvor perfekt präpariert. Dann geht es mit gleichmäßigen Schwüngen hinab - das pure Vergnügen. "Ihr seid noch bis um neun unter euch, dann kommen die Massen", scherzt Odd Holde, Hemsedals Marketingchef. "Das Skifrühstück bieten wir jetzt jeden Mittwoch und Sonnabend an, und es kommen immer mehr Leute", freut er sich.

Hemsedal, etwa auf halbem Weg zwischen Oslo und Bergen gelegen, 220 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ist eines der größten und beliebtesten alpinen Skigebiete Norwegens. Sich nach Skandinavien zu orientieren anstatt nach Süden in Richtung Alpen, wird gerade bei norddeutschen Pistenfreunden immer beliebter. Einfache Anreise per Autofähre und Abfahrten für alle Ansprüche, dabei moderate Preise. Und vor allem viel weniger Menschen als in der Schweiz oder Österreich, das ist Norwegens Wintergeheimnis. Selbst bei großem Andrang, etwa zu Ostern, wartet niemand mehr als ein paar Minuten in der Liftschlange.

"Wenn man unser Hochgebirge mit den Alpen vergleicht, muss man immer 1000 Meter abziehen", erklärt Odd. "Hier verläuft die Baumgrenze schon bei 1100 Meter." Im Gegensatz zu anderen norwegischen Skigebieten bietet Hemsedal mit ein paar hohen Gipfeln aber auch dem Auge durchaus alpine Eindrücke. "Wir haben sogar den höchsten per Lift erreichbaren Punkt in Norwegen zu bieten. Deswegen nennen wir uns auch skandinavische Alpen", lacht Odd. Also machen seine Gäste sich auf den Weg, den Gipfel des Totten zu stürmen, der 1497 Meter über das Meer aufragt, für norwegische Verhältnisse also fast ein Montblanc. Der imposante Ausblick oben entschädigt für die lange Auffahrt. Noch erstaunlicher ist, dass die von hier hinab führende grüne Piste namens "Sollæypa" (Sonnenloipe) auch für Anfänger gut zu bewältigen ist, also jeder das traumhafte Panorama hinüber zu den Nachbargipfeln Hamaren und Rægjin genießen kann. Insgesamt bietet Hemsedal 36 Pistenkilometer und 32 Abfahrten, sechs davon sind abends beleuchtet; ein Erlebnis, das die Alpen nicht bieten können. Auch gute Skifahrer finden in Hemsedal ihre Herausforderungen, zum Beispiel die "Kulelæypa", eine 600 Meter lange Piste mit großen Buckeln, die es in sich hat. Irgendwann trifft jeder im Skigebiet Hemsedal auf einen Mann, der mit seinem grauen Rauschebart so gar nicht wie der typische Winterurlauber aussieht. "Das ist Tommen", stellt Odd Holde den Snowboarder vor, "unser Original."

Der agile Bärtige dreht noch eine elegante Kurve auf seinem Brett und erzählt seine verblüffende Geschichte: "Ich war 15 Jahre Seemann und habe früher auch Drogen genommen", gesteht er. "Vor 15 Jahren bin ich nach Hemsedal gekommen, habe hier drei Jahre in einem alten VW-Bus gewohnt", sagt Tommen, der eigentlich Tom Bjerknaes heißt und 54 Jahre alt ist. "Hier hole ich mir die Kicks lieber auf dem Snowboard."

Die Wintersaison ist in Hemsedal mit sechs Monaten sowieso länger als irgendwo sonst. Diesmal öffneten die Lifte schon am 8. November 2003. Ausländische Gäste suchen in Norwegen vor allem Ruhe, und die finden sie überall. Egal ob in gemütlichen Holzhütten, teilweise mit Sauna, gleich neben der Talstation oder oben am Berg, in luxuriösen Apartments oder Zimmern der neuen Anlage "Skarsnuten" mit eigenem Liftanschluß.

Nur wer zum "After Ski", wie Norweger das abendliche Vergnügen nennen, die Action sucht oder dringende Besorgungen erledigen will, begibt sich in den Ort Hemsedal, zwei Kilometer entfernt. Das eigentlich ganz unscheinbare Dorf, wo nur 2000 Menschen leben, mutiert am Wochenende abends zur heißen Party-Zone. Da stehen junge Leute in Skistiefeln Schlange vor dem Lokal "Garasjen", einer ehemaligen Busstation, vor dem "Hemsedal Cafe" oder bei "Peppes Pizza" zur After Ski-Party mit viel Bier.

Etwa 6000 Gästebetten gibt es in der Umgebung; zu Ostern suchen bis zu 14 000 Skifahrer und Feierfreudige Hemsedal heim. Nur die prominenten Gäste bleiben dem Ort fern. "Unsere Skistars Kjetil Andre Aamodt und Lasse Kjus haben hier Hütten in den Bergen, die Verteidigungsministerin auch. Die kommt sogar ohne Leibwächter zum Snowboarden", verrät Odd Holde, und: "Kronprinz Haakon und seine Mette-Marit sind auch öfter hier."