Prognose-Debakel: Warum die Umfragen so versagt haben. Die Meinungsforscher lagen falsch mit ihren Wahlvorhersagen. Ein Forscher nennt die Schwächen der Methode.

Alle Umfragen kurz vor der Bundestagswahl haben gezeigt: Das wahre Ergebnis wurde verfehlt. War das nur ein Ausrutscher der Meinungsforscher? "Die Geschichte der Demoskopie ist eine Geschichte ihrer Niederlagen", sagt Siegfried Weischenberg, Journalistik-Professor an der Uni Hamburg. Auch vor Wahlen in Frankreich oder den USA habe es "katastrophale Prognosen" gegeben. Dabei vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwelche Umfragedaten veröffentlicht werden. Das Themenspektrum ist breit: Soll die Türkei EU-Mitglied werden? Ist Schwarzarbeit akzeptabel? Welche Noten geben Sie Schulen? Glauben Sie an Gott? Heraus kommen stets genaue Prozente. Kann man den Angaben trauen?

Umfragen ergeben nur ein grobes Bild, sie seien "weit entfernt von Präzision", sagt Weischenberg. Wer mit Zahlen hinter dem Komma agiere, "suggeriert eine Genauigkeit, die es nicht gibt". Denn befragt wird immer nur eine Auswahl von Menschen, die als repräsentativ, also als Spiegelbild aller gilt.

In der Regel sind das 1000 Personen. Dabei ergeben sich Fehlerquoten von "plus/minus drei Prozent", so Weischenberg. Das heißt: Einer Partei, der 40 Prozent vorhergesagt werden, kann auch bei 43 oder 37 Prozent liegen. Meist wird telefonisch befragt. Die Folge: Bei Familien antwortet häufig nur, wer sich als "Haushaltsvorstand" fühlt.

Zusätzlich leiden Wahlprognosen unter Sonderfaktoren, die Ergebnisse verzerren können. Weischenberg nennt sich als Beispiel. Er habe eine Woche vor der Wahl nicht schlüssig sagen können, wen er wähle. Allzu viele Unschlüssige kurz vor der Wahl - diesmal sollen es bis zu 30 Prozent gewesen sein - bringen die Daten ins Wanken. Umfragen von Wählern, die gerade das Wahllokal verlassen, zeigen dagegen eine hohe Übereinstimmung zum Endergebnis. Aus diesen Daten entstehen die ersten Prognosen nach Schließen der Lokale.

Neben methodischen Schwächen sieht Weischenberg auch Probleme darin, daß die Umfrage-Institute nicht ihre "Rohdaten" veröffentlichen, sondern eine "bearbeitete Version". Der Geschäftsführer der Niederlassung Deutschland des weltgrößten Umfrageunternehmens Gallup, Gerald Wood, hat nach dem Prognose-Debakel sogar vermutet, daß "möglicherweise nicht alle Aspekte der Repräsentativität befolgt worden seien". Zwar wolle er "keine Kollegenschelte betreiben", sagte Wood der "Thüringer Allgemeinen" in Erfurt. Aber in der Parteinähe deutscher Umfrageinstitute sehe er ein "ernsthaftes Problem".

Der Geschäftsführer von Infratest dimap, Richard Hilmer, sagte dagegen, mit der letzten Umfrage zehn Tage vor der Wahl habe man richtig gelegen. Die Prognose für das linke Lager - SPD, Grüne und Linkspartei - sei fast "eine Punktlandung" gewesen. Auch die Vorhersage für das bürgerliche Lager - CDU und FDP - sei insgesamt treffend gewesen. Falsch sei nur das Verhältnis der Stimmanteile unter den beiden Parteien gewesen. Doch seien Abweichungen nicht überraschend, "weil es immer mehr Wähler und Wählerinnen gibt, die strategisch wählen".

Wird deren Entscheidung vielleicht auch von der letzten Umfrage beeinflußt? Auf solche Fragen reagieren Wirkungsforscher ratlos. Aber Weischenberg ist sicher: "Die Wähler sind autonomer, als wir alle denken."