Kommentar: Die Botschaft der Wähler

Vor knapp zwei Monaten hatte Bundespräsident Köhler seine Zustimmung zu Neuwahlen damit gerechtfertigt, daß Deutschland für die anstehenden Probleme eine stabile Regierung brauche. Genau diese hatte auch der Wähler im Auge, als er sich am Sonntag für ein Patt von Union und SPD entschied. Denn nur dieser Gleichstand garantierte die Wunschkoalition der Bürgermehrheit: die große Koalition.

Von dieser großen Koalition erhofften sich die Bürger einen behutsamen Reformkurs und eine klare Absage an radikale soziale oder steuerpolitische Reformideen. Große Koalition - das ist vor allem für ältere Menschen die Sehnsucht nach Konsens, der die Bundesrepublik jahrzehntelang so erfolgreich machte. Was nach dem Krieg galt, ist für viele auch ein Weg in den rauhen Zeiten der Globalisierung.

Stünden die Parteien näher beim Wähler, hätten sie diese einfachen Zusammenhänge erkennen können. Leider haben sich die Traditionsparteien in der Vergangenheit immer weiter vom Bürger entfernt. Denn der politischen Klasse geht es vor allem um Machtgewinnung und Machterhalt und schon lange nicht mehr darum, den Verfassungsauftrag zu erfüllen, nämlich den Volkswillen zu organisieren und in politisches Handeln umzusetzen. Das derzeitige Gezerre um die Regierungsbildung und die offen zur Schau gestellte Arroganz der Verlierer ist ein Beweis für die intellektuelle Verflachung des politischen Personals in Berlin.

Dabei haben gerade Union und SPD den geringsten Grund für Überheblichkeit. Und noch immer begreifen die beiden Großen nicht, daß der Souverän ihnen vielleicht ein letztes Mal die Chance gegeben hat, zu beweisen, daß sie zum Wohle des Ganzen gewählt wurden. Ziehen sie daraus nicht spätestens nach der Nachwahl in Dresden Konsequenzen mit Merkel/Schröder oder ohne sie, dürfte ihnen die Verachtung des Wählers beim nächsten Urnengang gewiß sein.