Rot-rote Bündnisse gefährden nicht nur zentrale Positionen der SPD, sondern am Ende auch die Handlungsfähigkeit Deutschlands, schreibt der ehemalige Hamburger Bürgermeister im Abendblatt.

Alle reden über Andrea Ypsilanti - ich nicht. Zu reden ist vielmehr über veränderte weltwirtschaftliche Wettbewerbsbedingungen; über deren gesellschaftliche Herausforderungen und soziale Folgen; darüber, wie wir in Deutschland dieser Entwicklung erfolgreich begegnen sollten; darüber, welche Parteien mit welcher politischen Führung dies leisten könnten. Erst dann wäre darüber zu reden, was das jetzt für Hessen bedeutet. Und für die SPD im Bund.

In merkwürdiger Übereinstimmung heißt es: Die Parteien in Deutschland seien "nach links" gerückt; die neue Linke treibe sie vor sich her. Das ist ein Kurzschluss. Nicht die Parteien sind "nach links" gerückt, die Aufgaben sind es. Niemand kann bestreiten, dass neue Konkurrenz aus einer aufstrebenden Welt die reichen Industriestaaten heute unter wachsenden Wettbewerbsdruck setzt. Mit niedrigen Kosten und Löhnen, von Polen bis China. Das - und nicht etwa geizige Unternehmer, Manager oder öffentliche Dienstherren - verursacht den Lohndruck auf die deutschen Arbeitnehmer, die Angst vor Jobverlusten haben. Hier wurzeln auch die "Gerechtigkeitslücke" und die politische Debatte über sie. Hier hat der Riss in der SPD seinen Ursprung.

Denn sie verstand sich seit ihrer Gründung als Schild und Schwert der Arbeiter - Unternehmer können schon für sich selber sorgen. Der globale Druck jedoch zwingt heute auch eine verantwortungsvolle SPD-Parteiführung dazu, stärker auf die neue Lage der Unternehmen Rücksicht zu nehmen. Es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, es gibt nur eine richtige" - so charakterisierte konsequent Gerhard Schröder die Situation. Und gegen diese Einsicht formulierte dann Oskar Lafontaine, zunächst innerhalb der SPD und heute von der Plattform der Linken, die Antithese: Das sei "neoliberal".

Teile der SPD und Mehrheiten der ihr eng verbundenen Gewerkschaften haben die Erkenntnis Schröders nie wirklich mitgetragen. Sie fühlen noch immer die Sehnsucht nach der alten Arbeiter-Partei, obwohl Arbeiter weniger als ein Fünftel der Beschäftigten ausmachen - Tendenz schrumpfend. Diese nostalgische Sehnsucht speiste seit 1990 im Osten die SED-Nachfolgepartei PDS und speist heute die Linke im Westen. Angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks aus der Welt und der verständlichen Ängste der Menschen hat die Linke Erfolg. Sie ist im deutschen Parteiensystem und Parlament angekommen und hat gute Aussichten, dort zu bleiben. Denn die Probleme der reichen Industriestaaten werden nicht kleiner werden. Um den Standort zu sichern, wird deutsche Politik künftig immer mehr Rücksicht auf die Wettbewerbslage der Unternehmen nehmen müssen. Gerechtigkeit ist wichtig - aber ohne Arbeitsplätze gibt es sie nicht. Hier liegt der Kern des Streits der SPD-Parteilinken mit Peer Steinbrück.

Obwohl es bei der Linken sicherlich auch unbelehrbare Kommunisten gibt, darf man die Partei nicht wie eine Aussätzige behandeln. Auch kann man der Linken ein demokratisches Fundament nicht grundsätzlich absprechen. Der so leicht gesprochene Satz: "Alle demokratischen Parteien sollten miteinander koalitionsfähig sein" ist aber nur eine Phrase. Mit Parteien, die einen für das Land gefährlichen Unsinn vertreten, kann man nicht koalieren, auch wenn die Absichten noch so hehr wären und die demokratische Gesinnung noch so gut gemeint ist. Solche Parteien gehören nicht in eine Regierung, auch wenn es Programmpunkte gibt, mit denen man übereinstimmen kann. Ein Blick auf die NPD-Programmatik zeigt das überdeutlich, wenn man zum Beispiel deren Ziel für mehr Sportplätze und Kulturzentren akzeptabel findet.

Ist die Linke nach diesen Gesichtspunkten koalitionsfähig? Sie will Schlüsselbereiche der Wirtschaft in "Gemeineigentum" überführen (also verstaatlichen); will den "Vorrang der Politik auch in der Wirtschaft herstellen" (also wohl politische Direktiven für Investitionen ermöglichen); sie will "die an den Kapitalbedürfnissen ausgerichtete Flexibilisierung der Produktion und des Arbeitsmarktes beseitigen" (also verbieten, dass teure Maschinen im Schichtbetrieb bedient werden dürfen); Arbeitszeitverkürzungen (man spricht von 30 Wochenstunden) ohne Lohnkürzungen herbeiführen; "gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln" (also: im Grunde jedes Unternehmertum) will die Linke gesellschaftspolitischen "Schranken und Regeln unterwerfen", weil dieses "zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen führt"; oder "das Recht auf politischen Streik, einschließlich des Generalstreiks", ausüben; der Paragraph 218 soll abgeschafft werden: freie Verfügungsgewalt über den eigenen Körper, Abtreibung ohne Beratung. Und so weiter.

Den Landesparteien der SPD die Koalitionsfragen zu überlassen, mag im Prinzip "normal" sein. Aber hat Kurt Beck die Folgen von Links-links-Landeskoalitionen für den Bundesrat bedacht? Darf man eine Koalition nur danach beurteilen, was man mit einem Partner in einzelnen Punkten tun könnte, aber außen vorlassen, was man mit diesem Partner nicht könnte? Vergisst die SPD den Bundesrat? Schreckt es den SPD-Vorstand denn gar nicht, dass eine Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze mit Landeskoalitionen der Linken im Bundesrat unmöglich wäre? Die Rente mit 67? Ist es wirklich nur der Unsinn, die "Nato zu überwinden", der die Linke koalitionsunfähig macht?

Die Zusammenarbeit mit der Linken auf Landesebene könnte zentrale bundespolitische SPD-Positionen gefährden. Positionen, zu denen sich die SPD in langen, inneren Kämpfen unter Brandt, Schmidt und Schröder mühsam durchgerungen hatte. Links-links-Bündnisse könnten die Republik in der Globalisierung handlungsunfähig machen. Die taktische Öffnung auf Landesebene war insofern ein strategischer Fehler. Was hat die SPD dazu getrieben? Glaubt die Partei, dadurch eine Machtoption gewonnen zu haben? Die Grünen kann man doch nicht einfach als Anhängsel der SPD betrachten. Es ist einfach unredlich zu behaupten (so auch Kurt Beck am Montag), man könnte schon heute in Berlin gegen die Union regieren. "Ich freue mich, dass wir mehr Optionen haben als vorher", sagte Renate Künast am Sonntag. Durch Links-Bündnisse treibt man die Grünen weiter und tiefer in das bürgerliche Lager.

Es wird Zeit für eine deutliche inhaltliche Auseinandersetzung der SPD mit den Linken. Dafür allerdings muss die SPD-Führung zunächst die Härte für eine klare innere Kursbestimmung finden. In zentralen Fragen darf es keine faulen Kompromisse mit der Parteilinken geben. Kurt Beck steht hier vor seiner Bewährung.