Junge Wähler: 17 Prozent stimmten für Rechtsradikale. Zentralrat der Juden fordert neue Strategien gegen Neonazis. Forscher: Erste Anzeichen politischer Verwahrlosung.

Berlin. Die Erfolge der Rechtsradikalen bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben Politiker aller demokratischen Parteien alarmiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wertete den Einzug der NPD ins Parlament von Mecklenburg-Vorpommern als "außerordentlich bedauerliches Ergebnis dieser Landtagswahl". Die Rechtsextremisten müssten dadurch bekämpft werden, dass den Bürgern durch eine beherzte Politik wirtschaftliche und soziale Chancen gegeben würden, sagte sie.

Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, sprach von einem "Versagen der Politik" und forderte nachhaltige und finanziell langfristig abgesicherte Strategien gegen die Rechtsradikalen. "Die Ergebnisse der Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern sind bestürzend und eine Bankrotterklärung der Politik." Zentralrats-Vizepräsident Salomon Korn nannte es erschütternd, mit welcher Brutalität die Rechtsextremisten im Bündnis mit radikalen Schlägern im Wahlkampf gegen politische Gegner vorgegangen seien. Es sei deutlich geworden, dass sie auch vor massiver körperlicher Gewalt, Drohungen und Einschüchterungen nicht mehr zurückschreckten.

In Mecklenburg-Vorpommern hatte die NPD 7,3 Prozent der Stimmen geholt. Bei den unter 30-Jährigen kam die extremistische Partei am besten an: In dieser Altersgruppe erzielte sie 17 Prozent. Unter fünf Prozent Stimmenanteil blieb sie nur bei den über 60-Jährigen. Auch in Berlin zogen die Rechtsradikalen zwar nicht ins Abgeordnetenhaus, aber in fünf Bezirksparlamente ein. Der Potsdamer Extremismus-Forscher Gideon Botsch betonte, in Teilen des Landes sei die demokratisch verfasste Gesellschaft heute nicht mehr spürbar. Es handele sich um erste Anzeichen politischer Verwahrlosung.

SPD-Fraktionschef Peter Struck plädierte gestern dafür, erneut über einen Verbotsantrag gegen die NPD nachzudenken. Er wolle darüber auch mit den Ministerpräsidenten reden, sagte Struck. Vor drei Jahren war ein solches Verfahren in Karlsruhe gescheitert, weil viele Beweise gegen die Partei von V-Männern des Verfassungsschutzes gekommen waren und von den Richtern nicht anerkannt wurden.

SPD-Chef Kurt Beck warnte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) davor, die Unterstützung von Netzwerken gegen Rechts - im Bundesetat sind dafür 19 Millionen Euro vorgesehen - wie geplant Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Von der Leyen betonte dagegen, auch 2007 werde es Geld vom Bund geben. Allerdings würden die Programme überarbeitet.