Ein CSU-Chef macht Andeutungen, ein Minister rächt sich, eine Kanzlerin schweigt, ein Nachfolge-Kandidat prescht vor - und die Opposition lacht sich ins Fäustchen: Protokoll einer turbulenten Polit-Vorstellung. Stimmen zum Rücktritt von Minister Glos. neuneu/s/#g“>Bilder von Michael Glos.

Berlin/München. Freitag, 21.28 Uhr: Der Ingolstädter "Donaukurier", die Heimatzeitung von CSU-Chef Horst Seehofer, berichtet in seiner Online-Ausgabe: "Steht einer der erfolgreichsten Unternehmer Bayerns vor einem Wechsel in die Politik?" Der 53-jährige Bauunternehmer Thomas Bauer solle nach dem Willen Seehofers in der kommenden Legislaturperiode ein Regierungsamt übernehmen. Der CSU-Chef stehe mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu in Verhandlungen. "Infrage käme dabei etwa das Wirtschaftsministerium, derzeit bereits in CSU-Hand, aber mit dem politisch schwer angeschlagenen Michael Glos besetzt", schreibt der "Donaukurier". Seehofer lässt sich vielsagend zitieren: "Es sind ein Dutzend Namen im Gespräch, und ich werde keinen davon kommentieren." Kein Wort zu Michael Glos, kein Plädoyer für die Qualitäten des amtierenden Wirtschaftsministers, über dessen Amtsmüdigkeit schon länger geraunt wird in der Partei: Seehofer plant erstmals ganz öffentlich ohne Glos. Zu den Autoren des Artikels, der in den nachfolgenden Stunden Tausende Male in ganz Deutschland angeklickt wird, zählt sein journalistischer Intimus Jürgen Fischer. Wie eng die Drähte zwischen den beiden sind, ist in der Partei bekannt. Unternehmer Bauer, seit 2003 auch Schatzmeister der CSU, gibt für den Artikel aus Malaysia ein Statement ab: "Mit mir hat noch niemand gesprochen." Ein Dementi klingt anders.

Sonnabend, 8.45 Uhr : Im Münchner Hotel Bayerischer Hof beginnt der zweite Tag der Internationalen Sicherheitskonferenz. Horst Seehofer ist im Hauptplenum zu Gast. Im Laufe der nächsten Stunden läuft in der Ingolstädter Privatwohnung des bayerischen Ministerpräsidenten ein Fax auf. Absender ist Michael Glos. "Sehr geehrter Herr Parteivorsitzender, lieber Horst, vor uns liegen zwei schwierige Wahlkämpfe", so der Anfang des Schreibens, in dem Glos Ziele und Verdienste seiner Politik, aber auch seine Lebensplanung erläutert. Das Fax endet mit einer klaren Botschaft: "Ich bitte dich, mich von meinen Ministerpflichten zu entbinden. Mit freundlichem Gruß Dein Michael Glos." Was nicht in dem Fax steht: Glos ist seit Wochen tief frustriert. In der Finanz- und Wirtschaftskrise hat der Politiker, der nie Wirtschaftsminister werden wollte und für Edmund Stoiber in letzter Minute einspringen musste, quasi keine Rolle gespielt. Er fühlt sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in der Krise stets die Nähe zu Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gesucht hat, und von seinem Parteichef Seehofer im Stich gelassen. Glos, der vorher als CSU-Landesgruppenchef hohes Ansehen genoss, ist seit seiner Vereidigung zum Minister am 22. November 2005 ein Fremdkörper in der Bundesregierung.

13.00 Uhr: Seehofer nimmt am Mittagessen der Sicherheitskonferenz teil. Mittendrin lässt er US-Vizepräsident Joe Biden einfach allein sitzen und rückt mit seinem Stuhl ein paar Meter zu seinem Finanzminister Georg Fahrensohn (CSU). Sie tuscheln. Danach spricht Peter Ramsauer, der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, mit Seehofer.

15.45 Uhr : Es wird hektisch. Seehofer zieht sich im Hotel ganz allein in eine Ecke des Gartenrestaurants zurück und spricht angestrengt in sein Handy.

16.15 Uhr: Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) tritt im Bayerischen Hof vor die Presse und äußert sich zu Themen der Sicherheitskonferenz.

16.19 Uhr: Während Steinmeier spricht, erhalten die Journalisten eine Eilmeldung der Deutschen Presseagentur (dpa) auf ihre Handys: "Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hat laut einem Bericht der ,Bild am Sonntag' seinen Rücktritt angeboten." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll von Glos telefonisch informiert worden sein. Die Journalisten sprechen Steinmeier umgehend darauf an. "Ich habe eben gerade durch Sie davon erfahren", sagt der Vizekanzler, "verstehen Sie bitte, dass ich das jetzt nicht kommentieren, sondern mich erst einmal informieren will." Die Journalisten klären Steinmeier auf, dass Glos den Rücktritt in einem Brief an Seehofer angeboten habe. "Ich habe doch heute die ganze Zeit neben Seehofer gesessen", wundert sich Steinmeier, "der hat nichts davon erwähnt." Stand der Schritt von Glos im Zusammenhang mit dem Vorfall vom vergangenen Dienstag, bei dem der Fahrer von Glos angeblich einem Berliner Polizisten über den Fuß fuhr und Glos dem Polizisten gedroht haben soll? Der Vizekanzler winkt ab: "Bestimmt nicht."

18.42 Uhr: Erneut eine Eilmeldung der dpa: "Seehofer lehnt Glos-Rücktritt ab." Der CSU-Chef lässt über einen Sprecher verlauten: "Michael Glos hat mein Vertrauen. Ich habe Michael Glos in einem Telefonat mitgeteilt, dass ich dieser Bitte nicht entspreche." Formal ist Merkel als Kanzlerin für die Besetzung des Kabinetts zuständig. De facto hat der CSU-Chef die Hoheit über die Regierungsposten seiner Partei. Und Seehofer denkt gar nicht daran, sich das Heft des Handelns von Glos aus der Hand nehmen zu lassen. Auf die Rache des bloßgestellten Wirtschaftsministers folgt die Gegenrache des Parteichefs: Wie die CSU auf Bundesebene aufgestellt ist, will noch immer Seehofer bestimmen - dazu gehört auch der Zeitplan. Derweil schweigt Angela Merkel beharrlich. Die "Bild am Sonntag" berichtet, auch die Kanzlerin habe Glos' Gesuch abgelehnt.

20.30 Uhr : Trotz des Wirbels um seinen abgelehnten Rücktrittswunsch hält der Wirtschaftsminister seinen Terminplan ein: Glos erscheint mit Ehefrau Ilse zum Ball des Sports in Wiesbaden. Er lächelt ins Blitzlichtgewitter und ignoriert die Fragen der Medienvertreter. Moderator Johannes B. Kerner ruft ihm "an diesem für Sie besonderen Tag ein herzliches Willkommen" zu. Der 64-Jährige, den die Opposition spöttisch "Trauerglos" und "Problembär" tituliert hat, hat alles gesagt, was zu sagen ist.

Sonntag, 11.45 Uhr: In CSU-Kreisen ist zu hören, dass Glos in dieser verfahrenen Situation nicht bis zur Bundestagswahl Minister bleiben könne. Es müsse schnell gehandelt werden, um die Blamage für die Union abzumildern. Potenzielle Nachfolger? Genannt werden CSU-Landesgruppenchef Ramsauer, CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg, Bayerns Umweltminister Markus Söder, die parlamentarische Staatssekretärin unter Glos, Dagmar Wöhrl, und immer wieder: Thomas Bauer.

12.05 Uhr: Ramsauer meldet sich in der Würzburger "Main-Post" zu Wort: "Michael Glos genießt das uneingeschränkte Vertrauen sowohl der CSU-Landesgruppe als auch der Partei. In schwierigsten Zeiten wechselt man nicht die Pferde." Glos sei "der richtige Wirtschaftsminister, um diese Krise zu meistern".

12.44 Uhr: Eine Sprecherin der CSU bügelt Anfragen zu möglichen Nachfolgern des amtsmüden Wirtschaftsministers ab. "Da gibt es gar keinen Grund, Herr Glos hat das volle Vertrauen", lautet die Sprachregelung. Doch die wird schon wenige Minuten später überholt sein.

12.54 Uhr : Im Internet-Lexikon Wikipedia ist der Eintrag des Unternehmers Thomas Bauer gerade aktualisiert worden. Ein Unbekannter hat eingetragen: "Nach dem Rücktrittsangebot von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos ist Bauer als Nachfolger im Gespräch."

13.05 Uhr: Thomas Bauer macht aus seinem Interesse an der Nachfolge des amtsmüden Glos nun keinen Hehl mehr. "Horst Seehofer hat mich in den letzten Monaten ein paar Mal darauf angesprochen, ob ich Interesse hätte, in ein höheres politisches Amt zu gehen. Ich bin politisch stark engagiert, in Verbänden tätig und Vorstandsvorsitzender einer super laufenden Firma. Für mich wäre das vorstellbar", lässt sich Bauer in der "Welt" zitieren. Bereits am Morgen habe er mit Seehofer telefoniert. Nun müsse "man schauen, was passiert", sagt Bauer. "Ich treibe keinen Minister aus dem Amt."

13.06 Uhr: Regierungskreise bestätigen, dass Glos bei einem sofortigen Ausscheiden keine Ministerpension erhalten würde. Erst mit Ablauf der vierjährigen Wahlperiode hätte er Anspruch darauf. Glos braucht das Geld auch nicht. Nach einem Ende seiner politischen Laufbahn würde er hohe Altersbezüge für seine Zeit als Bundestagsabgeordneter erhalten. Er sitzt seit 1976 im Parlament. Außerdem wird Glos Ende September erneut für den Bundestag kandidieren.

15.55 Uhr: Der Koalitionspartner labt sich am Personalchaos in der Union. "Da muss wieder Ordnung geschaffen werden", sagt der SPD-Kanzlerkandidat in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Angesichts der Wirtschaftskrise müsse die Union jetzt "rasch für Klarheit und Ordnung sorgen. Wir brauchen in dieser Lage einen handlungsfähigen Wirtschaftsminister." Die Kanzlerin schweigt noch immer. Währenddessen wird bekannt, dass Glos auch sein Amt als CSU-Bezirkschef in Unterfranken im Juni aufgeben will.

16.46 Uhr: Die Unionsführung will eine rasche Lösung herbeiführen. In der CSU-Spitze werde intensiv beraten, ob man dem Wunsch von Glos nach Ablösung mitten in der Wirtschaftskrise entsprechen könne, heißt es. Auch Merkel sei eingebunden.

17.04 Uhr: Thomas Bauer redet sich um Kopf und Kragen. Er entwickelt Ideen für die Amtsübernahme: "Ich würde schon einen anderen Stil in der Politik verfolgen. Ich würde intensiv mit den Wirtschaftsvertretern sprechen und versuchen, wieder gemeinsam erfolgreich zu werden", sagt er sueddeutsche.de.

17.30 Uhr: Michael Glos tritt beim Neujahrsempfang des CSU-Ortsverbands Marktleuthen im Fichtelgebirge auf. Er sagt über seinen Rücktritt: "Das ist etwas ganz Natürliches. Ich werde alles tun, dass die CSU dadurch keinen Schaden nimmt."

18.22 Uhr: Merkel und Seehofer sind sich offenbar einig, Glos von seinem Amt entbinden zu wollen, wird gemeldet. Von einem Nachfolger ist noch nicht die Rede. Als Erster der potenziellen Kandidaten verzichtet wenig später Peter Ramsauer offiziell auf Glos' Nachfolge.

20.43 Uhr: Die Münchner "Abendzeitung" meldet, dass Karl-Theodor zu Guttenberg neuer Wirtschaftsminister wird.

23.08 Uhr: Die Entscheidung über die Nachfolge von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos fällt zwischen CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg und dem bayerischen Finanzminister Georg Fahrenschon, meldet die Deutsche Presse-Agentur.