In den USA wird nach der Fiskalklippe jetzt genauso zäh über Erhöhung der Schuldenobergrenze von aktuell 16,4 Billionen Dollar verhandelt.

Washington. Der Taxifahrer hat den gleichen Vornamen wie Finanzminister Timothy Geithner und schon deswegen wenig Verständnis für die amerikanische Rekordverschuldung. "Wenn ich mit meinem Geld nicht auskomme, kann ich nicht einfach mehr von Ihnen verlangen", erklärt er dem Kunden. "Ich muss dann sparen. Aber was macht Washington? Die Steuern erhöhen, um dem 'fiscal cliff' zu entkommen!" "Finanzklippe" ist der meistzitierte und meistgehasste Begriff der vergangenen sechs Wochen in den USA.

Dass der Kongress am Neujahrsabend gegen die Mehrheit der Republikaner höhere Steuern beschloss und Kürzungen im Haushalt zunächst um zwei Monate vertagte, entsprach angesichts der verhärteten Parteifronten der Erwartung seiner Mitbürger. Wäre der Kompromiss nicht zustande gekommen, wären automatisch viel drastischere Steuererhöhungen für Millionen Amerikaner und dramatische Haushaltskürzungen in Kraft getreten. Nach einer Umfrage von "Washington Post" und Pew-Center hätten 53 Prozent die zögerlichen Republikaner dafür verantwortlich gemacht. Nur 27 Prozent wollten Barack Obama die Schuld zuschreiben.

Trotzdem stimmten am Neujahrsabend nur 85 republikanische Abgeordnete für den mühsam ausgehandelten Gesetzentwurf, aber 151 dagegen. Die Demokraten votierten mit 172 zu 16 Stimmen für die Vorlage. Insgesamt fand das Gesetz eine Mehrheit von 257 zu 167 Stimmen. Der Senat hatte es in der Silvesternacht zwei Stunden vor dem Jahreswechsel mit 89 zu acht Stimmen angenommen.

Die Fiskalklippe bestimmte über Wochen die Schlagzeilen. Die Superior State University in Sault-Ste.Marie in Michigan setzte den Begriff prompt an die Spitze ihrer 38. Jahresliste der Wörter, die verbannt werden sollten "wegen Missbrauchs, Überdosierung oder grundsätzlicher Nutzlosigkeit". Dass "fiscal cliff" noch vor anderen inflationär vermeldeten Modebegriffen landete, begrüßt Christopher Loiselle auf der Homepage der Universität: "Man kann die Nachrichten nicht einschalten, ohne das zu hören. Ich bin gleichermaßen besorgt über den Fluss der Schulden und den Berg der Verzweiflung."

Immerhin dürften Verschwörungstheoretiker, die in jedem politischen Kräftemessen eine Inszenierung sehen, mit der den Wählern die vermeintliche Härte des Einsatzes für ihre Interessen suggeriert werden soll, dieser Tage vom Glauben abgefallen sein. Denn entgegen den Prophezeiungen in vielen Blogs und Leserkommentaren gab es eben am Ende keine tatsächliche Einigung, sondern einen billigen Kompromiss zum Nachteil aller Beteiligten. Obama blieb weit zurück hinter seiner Ankündigung aus dem Wahlkampf, alle Besserverdiener oberhalb von 250.000 Dollar stärker zur Kasse zu bitten, aber die Bezieher niedrigerer Gehälter zu schonen. Die Republikaner scheiterten mit ihrer Forderung, auf Steuererhöhungen gänzlich zu verzichten oder aber allenfalls bei Einkommensmillionären beginnen zu lassen und in jedem Fall Budgetkürzungen zu beschließen. Und das Volk hat Ultimaten gesehen, die überschritten wurden. Und sie erwartet eine zähe Fortsetzung des Duells in den kommenden Wochen, wenn über die Erhöhung der erneut erreichten Schuldenobergrenze von gegenwärtig 16,4 Billionen Dollar verhandelt werden muss.

Wie blank die Nerven in den entscheidenden Nächten auf den Gängen des politischen Washington lagen, zeigt der verbale Kleinkrieg zwischen John Boehner, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, und Harry Reid, dem demokratischen Mehrheitsführer im Senat. Am vorigen Freitag beschuldigte Reid Boehner in einer Pressekonferenz, er übe eine "Diktatur" im Haus aus, und es sei ihm wichtiger, "sein Zepter" als Sprecher zu sichern, als einen Kompromiss vorzubereiten. Kurz danach begegneten sich die beiden Männer, von denen bekannt ist, dass sie sich in herzlicher Abneigung verbunden sind, in der Lobby des Weißen Hauses. "Go fuck yourself", sagte Boehner nach Augenzeugenberichten mit international verständlicher Deutlichkeit, während er auf Reid zeigte. Den verlangte es aber dennoch nach einer Bestätigung des unerhörten Gehörten. "Wovon redest du?", fragte er überrascht. Und der Sprecher des Hauses, nach Präsident und Vizepräsident hierarchisch die Nummer drei in Washington, wiederholte die drei Wörter. Dass Boehner sich durchaus um einen Kompromiss bemüht hatte, ist bekannt. Er war vor Weihnachten in den Vier-Augen-Verhandlungen mit Obama recht weit gekommen. Aber seine eigenen Abgeordneten zeigten ihm die kalte Schulter. Dass Boehner den Weg frei machte für die offene Abstimmung, stellt seine Position als Sprecher des Repräsentantenhauses im nächsten Kongress infrage, der sich am Freitag auf der Grundlage der Wahlresultate vom 6. November konstituiert. Denn Eric Cantor, der Fraktionschef, stimmte mit der Mehrheit der Abgeordneten gegen den Gesetzentwurf. Boehner und Paul Ryan, im Wahlkampf der "running mate" von Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, votierten mit dem Minderheiten-Drittel der Fraktion mit Ja.

Cantor und die anderen mögen bei ihrer Verweigerung ihr schriftliches Versprechen gegenüber dem einflussreichen Tea-Party-Aktivisten Grover Norquist im Sinn gehabt haben, nie und unter keinen Umständen für Steuererhöhungen zu stimmen. Norquist selbst zeigte allerdings mehr Flexibilität und mogelte sich auf die Seite der Sieger. "Der Kongress schickt sich an, die meisten der vorübergehenden Steuerkürzungen dauerhaft zu beschließen, gegen die Demokraten 2001 und 2003 stimmten. Dauerhaft schlägt vorübergehend", twitterte der Vorsitzende der Organisation "Amerikaner für Steuerreform". Und: "Jeder R(epublikaner), der für das Senatsgesetz stimmt, kürzt Steuern und hält sich an sein Versprechen."