Washington. Es sei ja noch "sehr früh am Abend", erklärte auf CNN der etwas ratlose Chef-Moderator Wolf Blitzer, als eine Stunde nach Schließung der Wahllokale im US-Staat New Hampshire die bereits als Verliererin abgehakte Hillary Clinton immer noch vor dem Favoriten Barack Obama lag. Aber auch als es schon sehr früh am Morgen und jede Stimme gezählt war, führte Hillary Clinton mit 39 zu 37 Prozent und hatte sich längst von ihren Anhängern als strahlende Siegerin und "Comeback-Girl" feiern lassen.

Nun rätseln die Experten, wie es zu dem Umfrage-Fiasko kommen konnte. Sieben demoskopische Institute waren sich alle einig darin gewesen, dass Clinton in New Hampshire ihrer zweiten sicheren Niederlage nach jener im Staat Iowa entgegengehen würde. Nur in der Frage, wie klar sie gegen ihren schwarzen Kontrahenten verlieren würde, gab es kleine Differenzen. Während das Suffolk-Institut Obama nur mit fünf Punkten vorn sah, sagte das Rasmussen-Institut ihm einen Neun-Punkte-Vorsprung voraus. Gallup und Zogby, die beiden bekanntesten Umfrage-Unternehmen der USA, waren noch mutiger: Sie sahen einen Tag vor der Wahl Obama mit zehn beziehungsweise 13 Punkten in Führung.

Was ist passiert - im Mutterland der Demoskopie? Viele Meinungsforscher sehen den Fehler nicht bei sich selbst, sondern geben den Wählern die Schuld, da sich viele von ihnen erst in allerletzter Minute entschieden hätten. Gallup-Chef Frank Newport räumte gestern ein: "Wir haben noch nicht die genaue Antwort, wie es zu dem Fiasko kommen konnte, aber wir untersuchen alle vernünftigen Erklärungen."

Erklärungsversuche immerhin gibt es eine ganze Reihe. Neben jenem über die hohe Zahl von Kurzentschlossenen besteht die Vermutung, dass viele weiße Wähler in New Hampshire, wo der Anteil von Farbigen bei etwa fünf Prozent liegt, bei den Befragungen angaben, Obama wählen zu wollen, um nicht in den Verdacht des Rassismus zu geraten - und schließlich doch Hillary Clinton wählten. Newport: "Diese Hypothese kommt immer wieder, aber ist natürlich schwer zu beweisen."

Ein nicht unbedeutender Faktor dürfte auch sein, dass rund die Hälfte der Wähler in New Hampshire sogenannte "independents" (Unabhängige) sind. Das bedeutet, dass sie bei keiner der beiden Parteien in Wahllisten eingetragen sein müssen und wählen können, wen immer sie wollen, während eingetragene Demokraten und Republikaner nur für Bewerber ihrer Partei stimmen dürfen. Sowohl Politexperten als auch die meisten Demoskopen waren davon ausgegangen, dass Barack Obama den Löwenanteil dieser Unabhängigen gewinnen würde. Jetzt zeigt sich jedoch, dass er sie mit dem republikanischen Wahlsieger John McCain teilen musste, während Hillary Clinton den Großteil der Unabhängigen-Stimmen, die auf die Demokraten fielen, für sich verbuchen konnte.

Und dann ist da noch das, was Gallup-Chef Newport den "Verdrückte-Tränen-Faktor" nennt. Es geht um jenen Vorfall, der sich am Montagnachmittag - nach Beendigung der meisten demoskopischen Befragungen - in einem Cafe im Städtchen Portsmouth in östlichen New Hampshire zutrug. Dort saß Hillary Clinton mit einem guten Dutzend unentschlossener Wählerinnen bei Kaffee und Kuchen, als eine der Teilnehmerinnen sie fragte: "Wie schaffen Sie das Ganze nur?" Überraschend für alle geriet die ehemalige First Lady ins Stocken, schluckte und verdrückte im letzten Augenblick ein paar Tränen. Mit stockender Stimme erklärte sie dann, dass der ganze Wahlkampf für sie nicht nur politisch, sondern auch persönlich sei. Dieser wohl erste öffentliche Gefühlsausbruch der Senatorin wurde zur "Top News" in den Abendnachrichten am Tag vor der Stimmabgabe.

Echt oder inszeniert? Wer weiß das. Tatsache ist, dass bei den sogenannten "exit polls" - den Befragungen von Wählern nach ihrer Stimmabgabe - die Mehrheit der Frauen, die zuvor immer auf der Seite von Obama standen, für Clinton gestimmt hat. Newport: "Wir können im Moment noch nicht sagen, ob die Beinahe-Träne einen großen Einfluss hatte, aber auszuschließen ist das natürlich nicht. Mit Sicherheit kann ich sagen, dass wir sie nicht mehr in unseren Kalkulationen hatten."