Optische Sinnesreize verarbeitet das Gehirn viel schneller als akustische. Das machen sich auch und vor allem Politiker zunutze.

Hamburg. Hillary Clinton, von vielen Amerikanern als eiskalte "Lady Macbeth" empfunden, ringt unversehens um Fassung, als sie nach ihrem Befinden gefragt wird. Dieser Kampf "ist nicht nur politisch für mich, er ist auch persönlich . . . ", schnieft sie. Und gewinnt prompt die nächste Vorwahl. Das Bild der Senatorin mit tränenfeuchten Augen könnte die Wahl für sie entschieden haben. Warum eigentlich?

Nicht ganz grundlos wird im Wahlkampf von der "Clinton-Maschine" gesprochen. Die ehemalige First Lady gilt als politisch versierter als ihr Rivale Barack Obama, aber auch als unnahbar. Obama transportiert die von vielen Amerikanern ersehnte menschliche Wärme. Indem Hillary Clinton unerwartet Schwäches zeigte, verblasste ihr schädliches Image von der eisernen Wahlkampfmaschine.

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"Ein Bild ist zehntausend Worte wert". Dieser banal klingende Slogan erschien zum ersten Mal am 10. März 1927 in der US-Werbezeitschrift "Printers Ink" . Und er stimmt - das hat entwicklungsgeschichtliche Gründe. Optische Sinnesreize werden viel schneller im Gehirn verarbeitet als alle anderen: Über den Gesichtssinn nimmt ein Mensch pro Sekunde rund zehn Millionen Informationseinheiten - sogenannte Bits - wahr, über das Hören nur etwa 100 000 Bits.

Hinzu kommt, dass ein Bild im Gegensatz zu einem Text direkt und im Ganzen als Information aufgenommen wird - ohne den Filter des Bewusstseins durchlaufen zu müssen. Denn die Sinne des Menschen sind viel älter als sein hoch entwickelter Verstand. Lesen zum Beispiel ist ein komplexer, sequenzieller Vorgang. Wer schwierige Sachverhalte direkt ins Gehirn transportieren will, bedient sich also eindrucksvoller Bilder.

Bilder erzeugen Emotionen. In der Politik dienen sie daher bevorzugt als Waffe, Lockmittel oder zum Transport von Botschaften. Bilder werden auch rasch zu einprägsamen Symbolen für komplexe Zusammenhänge. Zum Beispiel das Foto des Polizeichefs von Saigon, Nguyen Ngoc Loan, der 1968 vor laufenden Kameras einen Verdächtigen erschießt. Dieses preisgekrönte Bild wie übrigens auch ein späteres, auf dem ein von Napalm schwer verbranntes Kind um sein Leben rennt, beeinflusste zwar nicht unmittelbar eine Wahl, aber doch stark die öffentliche Meinung über den Krieg in Südostasien - und trug schließlich zur Wende in der US-Politik bei.

Die Fotos aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak transportierten die Entwürdigung der Gefangenen schnell und unmittelbar als starke Emotionen ins Gehirn des Betrachters und wirkten so meinungsbildend. Das Hirn bewertet Bilder in einem zweiten Schritt, indem es auf bereits verarbeitete visuelle Erfahrungen zurückgreift. Dann kann das Foto des Fleischhaufens aus nackten Häftlingen Assoziationen an Leichenberge in Konzentrationslagern wecken. Und der mit ausgebreiteten Armen auf einem Hocker stehende, an Stromdrähte angeschlossene Häftling wird zum biblischen Schmerzensmann am Kreuz. Starke Anklänge, die in politischen Druck umgemünzt werden können.

Wie Fernsehbilder Wahlen entscheiden können, zeigte schon das legendäre TV-Duell zwischen den Kandidaten Richard Nixon und John F. Kennedy 1960. Nixon hatte in der Debatte keineswegs die schlechteren Argumente, doch er verlor trotzdem. Er hatte den Fehler gemacht, den Maskenbildner abzulehnen - und saß dem braun gebrannten, sorgfältig geschminkten Kennedy unrasiert und leichenblass gegenüber.

Und im Spätsommer 2002, es war Bundestagswahlkampf und zugleich Flutkatastrophe an der Elbe, stapft Kanzler Gerhard Schröder medienwirksam in Gummistiefeln durch das überschwemmte Grimma und stellt sich auf durchweichte Deiche. Die Bilder signalisieren: Hier steht ein Macher, der anpackt und hilft.

Sein Herausforderer Edmund Stoiber ließ sich derweil mit poliertem Schuhwerk fernab der Flut auf Sylt fotografieren. Der zuvor noch in Führung liegende Stoiber verlor die Wahl. Es war wohl nicht zuletzt die Macht des Bildes, die seinen Lebenstraum zerstörte.