Veteranen: Minirenten, alte vergünstigungen gestrichen - wer ohne Job ist, sammelt Pfandflaschen oder geht betteln.

St. Petersburg. Gestern standen sie noch einmal im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit: Rußlands etwa 1,1 Millionen Weltkriegsveteranen. Für viele wird es das letzte runde Jubiläum des "Tages des Sieges" sein, wie er in Rußland offiziell heißt, das sie mitfeiern können. Schon seit Tagen haben sie ihre alten Orden und Ehrenzeichen angelegt. Wer sie noch hat und noch hineinpaßt, trägt Uniform. Noch einmal gibt es ein großes Festessen, Wodka dazu und Tanz.

Doch schon heute beginnt wieder der Alltag. Und der ist für die meisten ehemaligen Rotarmisten mehr als grau. Nach Rußlands neuem Sozialgesetz beträgt die Mindestrente elf Prozent des Warenkorbes, der ein halbwegs gesichertes Überleben garantieren soll. Den hat die Bürokratie auf 8950 Rubel (knapp 250 Euro) pro Monat festgelegt. Elf Prozent davon wären also etwa 27,50 Euro.

"Das reicht gerade mal für die Wohnung", sagt Natalja Garkawenko (52), die Vorsitzende des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) von Petersburg. "Wer das ausgerechnet hat, sollte selbst einmal versuchen, damit zu leben." Veteranen sind vom neuen Gesetz zusätzlich betroffen, weil ihnen Vergünstigungen wie freie Metro-Fahrten, kostenlose Medikamente, verbilligte Eintritte für Kulturveranstaltungen gestrichen wurden. Statt dessen erhalten sie 400 Rubel (elf Euro) Zuschlag zur Rente. Krebskranke etwa bekommen nun keine Schmerzmittel mehr, und selbst kaufen kann sie niemand. Auch die Zahnarztversorgung ist unerschwinglich geworden. "Es ist eine große Sünde, mit alten Menschen so umzugehen", erregt sich Frau Garkawenko. "Die Kriegsveteranen und Blockadeüberlebenden wollen doch nur leben."

Viele von ihnen sind in Petersburg auf sich allein gestellt, da während der 900 Tage dauernden deutschen Belagerung im Zweiten Weltkrieg viele Familienangehörige umgekommen sind. Deshalb bietet der ASB neben Essen, Kleiderspenden, Rechtsberatung oder Nothilfe nach Wohnungsbränden vor allem auch soziale Kontakte an.

Um irgendwie über die Runden zu kommen, müssen die einstigen Sieger des Weltkrieges heute Pfandflaschen sammeln, ihre letzte Habe auf Flohmärkten verkaufen, betteln oder sich einen Job suchen. So wie Jakow Petrowitsch Dawydow. Der ehemalige Marineoffizier lebt seit 64 Jahren mit seiner Frau Nina Iwanowna (85) zusammen und wird im August 90 Jahre alt. Um die Pensionen aufzubessern, führt er noch immer Besucher durch den Panzerkreuzer "Aurora". Seit 1988 kriecht er mit Touristen in den stickigen Maschinenraum des Schiffes, das schon die Seeschlacht von Tsuschima im russisch-japanischen Krieg 1905 und beide Weltkriege überstanden hat. Berühmt wurde es durch einen einzigen Schuß aus seinem Bugrohr, der in der Nacht zum 7. November (25. Oktober nach dem damals in Rußland noch gebräuchlichen Julianischen Kalender) 1917 die Oktoberrevolution einleitete.

Nun ist es mit der Sowjetmacht seit 14 Jahren vorbei. Die neuen Russen sind damit beschäftigt, sich zu bereichern, und das neue Rußland will wieder eine Rolle in der Welt spielen, die so stark ist, wie sein Präsident Wladimir Putin heute schon tut. An die Bedürftigen denkt dabei kaum jemand.

"Die Politiker haben immer nur versprochen und nichts gehalten", schimpft Jakow Petrowitsch. Deshalb arbeitet er weiter, auch wenn es ihm zunehmend schwerfällt, die steilen Auf- und Niedergänge des einst geradezu mystisch verklärten Revolutionsdampfers zu erklimmen und sich bei den Erklärungen zu konzentrieren. Der Lohn im staatlichen Museum reiche gerade mal für die Metro. "Aber ich bin eben ein Marine-Mann bis auf die Knochen", sagt er.

Einmal hatte er einen ehemaligen deutschen Kapitän durchs Schiff geführt. "Von dem, was der an Pension kriegt und sich leisten kann, kann ich nicht einmal träumen", sagt er. Auch seinen größten Wunsch konnte er sich nicht erfüllen: das Grab des kurz vor Kriegsende in der Schlacht um Berlin gefallenen Bruders zu besuchen. Erst vor kurzem hat Jakow Petrowitsch erfahren, daß es eine gepflegte letzte Ruhestätte in Berlin geben soll. Doch für die Reise hat er kein Geld - und vielleicht auch nicht mehr die Kraft. Nun möchte er wenigstens noch ein Foto vom Grab. In seiner kleinen Kajüte kramt der alte Fahrensmann dann die Wodkaflasche und einen Apfel hervor. Soviel Gastfreundschaft muß sein. Unter allen Umständen.

  • Wer die Petersburger Veteranen unterstützen möchte, kann auf das Konto des ASB Hamburg-Mitte spenden: 54 54 54 00, Dresdner Bank Hamburg, BLZ.: 200 800 00, Stichwort: Veteranen