London. Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes hat der britische Premierminister Tony Blair die Deutschen angesichts des eigenen Leids vor der Pflege einer "Opferkultur" gewarnt. Blair zeigte in einem Zeitungsinterview zwar Verständnis, daß viele Deutsche den 8. Mai 1945 nicht nur als Tag der Befreiung sehen, sondern damit Leid verbinden. Das Gedenken an die Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten sei richtig. "Aber das darf nicht bedeuten, eine Opferkultur zu pflegen."

Blair betonte, daß die Beziehungen Deutschlands und Großbritanniens "nie besser als heute" gewesen seien. Aus den ehemaligen Feinden seien Freunde geworden. Wenn er das Wort Deutschland höre, denke er an "einen Freund, Partner und Verbündeten".

Deutschland sei eine "mächtige und sichere Demokratie" geworden, in der eine Rückkehr zur Diktatur "unmöglich" sei. Hitlers Regime sei zwar "in seiner Bösartigkeit einmalig" gewesen. Aber das Jugoslawien der 90er Jahre habe gezeigt, daß "Akte der Barbarei" auf "unserem Kontinent noch immer möglich sind". Deshalb müsse die Verbreitung von Freiheit und Demokratie "unser Ziel bleiben". Nach Blair steckt das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht in der Krise. Beim jüngsten Besuch von US-Präsident George W. Bush sei zu erkennen gewesen, daß "wir alle an einer starken transatlantischen Partnerschaft interessiert sind".

Blair bestritt, daß Großbritannien Vorbehalte gegenüber der EU habe. Man habe eine Vision eines effizienten Europas, das sich reformiere, um für die Herausforderungen der nächsten Jahre gerüstet zu sein. Da, wo die Nationalstaaten am besten in der Lage seien zu entscheiden, "sollten sie auch das letzte Wort haben". Dies gelte etwa für die Steuer- und Außenpolitik.