Eröffnung: Heute wird das Berliner Holocaust-Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben. Nach Lea Rosh spricht der Bürger.

Berlin. Ohne Lea Rosh würde es das Holocaust-Mahnmal wohl nicht geben. Und wenn heute beim Festakt alles läuft wie geplant, wird sie noch einmal das letzte Wort haben. Als letzte Rednerin. Nach Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, nach Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, nach dem Architekten Peter Eisenman und nach der Holocaust-Überlebenden Sabina von der Linden, die eigens aus Sydney angereist ist. Ehre wem Ehre gebührt.

Jetzt ist es also wirklich fertig. Donnerstag, ganz in der Frühe, sollen die letzten Zäune fallen. Dann wird man das Mahnmal von allen Seiten her betreten können. Dann wird es ein völlig offenes, von 141 Pfaden durchzogenes Kunstwerk sein. Und dann wird man sehr schnell wissen, ob das Mahnmal ein "Erfolg" wird. Ob es die Menschen anzieht oder abstößt. Oder gleichgültig läßt. Wie hat Eisenman gesagt? "Wenn das Mahnmal ein Erfolg wird, wird es viele Väter haben, wenn es ein Mißerfolg wird, wird es ein Waisenkind sein." Er fühle sich wie eine Frau, die gerade niedergekommen sei und nun unter einer postnatalen Depression leide, hat der Amerikaner vor ein paar Tagen im Berliner Rathaus zu Protokoll gegeben. Aber aus dem scherzhaften Ton war Nervosität herauszuhören. Und die Sorge, irgend jemand könnte das Mahnmal "kitschig" nennen.

Nein, kitschig ist es nicht geworden. Aber riesig. Auf 19 073 Quadratmetern breiten sich Eisenmans 2711 anthrazitgraue Beton-Stelen aus. Besser: wogen sie - zwanzig Zentimeter bis vier Meter hoch - auf gewelltem Gelände in leichter Schräglage dahin. Vorausgesetzt, man hat Gelegenheit, das Mahnmal von oben zu betrachten. Aus den oberen Etagen der umliegenden Häuser.

Zwei Fußballfelder hätte man auf dem Areal anlegen können, und daran, daß das Mahnmal so groß geworden ist, soll indirekt Willy Brandt schuld sein. Der hat einmal gesagt, die Würde der Deutschen gebiete "einen unübersehbaren Ausdruck der Erinnerung an den Mord an den europäischen Juden". Und diesen Satz hat sich der von der Journalistin Rosh und dem Historiker Eberhard Jäckel 1988 gegründete Förderkreis gern auf die Fahnen geschrieben. Daß es so banal war, hat Eisenman gerade bestätigt: "Die ganze Idee bestand darin: Groß mußte es sein." Und allein den Juden sollte die Erinnerung an dieser Stelle vorbehalten sein. Wer etwas anderes verlangte, wurde von Rosh öffentlich abgekanzelt. Nach dem Motto, ein Denkmal für alle Opfer der NS-Zeit sage gar nichts aus, das müsse alles einzeln "begriffen werden", und "was wir jetzt bauen, ist allein für die Juden"!

"Herrschsüchtig" war noch eins der netten Etiketten, mit denen man Lea Rosh deshalb behängte. Richtig böse waren: "Wunschjüdin" - weil Rosh entgegen dem, was der selbsttätig geänderte Name suggerierte, keine Jüdin ist - und "Holocaust-Kassandra". Andererseits: Wer die Fotos kennt, die Konrad Müller gerade von ihr gemacht hat, wird genau das in ihr sehen. Mit unheilverkündender Miene steht sie inmitten des Eisenmanschen Betons, eingepackt in den an ihr gewohnten Sack-und-Asche-Designer-Look, die Frisur wüst wie nach einer kleinen Fönexplosion. Auf diesen Fotos ist sie der Inbegriff der Frau, die der Nation mit ihrer Anmaßung - " Wir werden dem Land etwas hinterlassen, was lange, lange bleibt!" - so auf die Nerven gegangen ist, daß die "FAZ" am Wochenende ganz richtig feststellte, man verspüre jetzt den allgemeinen Wunsch, Rosh werde es mit der Mahnmal-Übergabe endlich "gut sein lassen".

Natürlich sorgt die Dimension für Pathos. Und tatsächlich wirken die ganz flachen Blöcke wie Grabplatten. 95 mal 238 Zentimeter - mehr Platz braucht man auf einem Friedhof ja auch nicht. Eisenman hat es allerdings immer abgelehnt, sein Mahnmal selbst zu deuten. Er hat nur darauf hingewiesen, daß das Mahnmal da errichtet worden ist, wo einst Reichsbauernführer Richard Walter Darre residierte - der Mann, der als Leiter des "Rasse- und Siedlungshauptamts" an Hitlers "Blut und Boden"-Ideologie strickte. Eben dort für die ortlosen Opfer einen ortlosen Ort zu bauen, so Eisenman, sei sein Konzept gewesen.

Das Mahnmal ist kein Labyrinth. Wo immer man steht, sieht man Wege ins Freie. Erklärungen gibt es nicht. Wer welche sucht, muß sich zum nördlichen Ende begeben, wo der "Ort der Information" zu finden ist. Die unterirdische Dokumentation, die der Deutsche Bundestag einforderte, als er am 25. Juni 1999 mit 314 gegen 209 Stimmen für die Umsetzung des Eisenman-Entwurfs stimmte. Auf 800 Quadratmetern gibt die Ausstellung Auskunft über den Holocaust. Im "Raum der Dimensionen" wird man mit letzten Selbstzeugnissen derer konfrontiert, die schon auf dem Weg in die Vernichtungslager waren, im nächsten Raum erhalten - pars pro toto - fünfzehn Familien ihre (Bilder-)Geschichte zurück, im "Raum der Stimmen" werden die Biographien von achthundert Menschen verlesen. Das ist schwer zu verkraften.

Das Mahnmal selbst wird rund um die Uhr zugänglich sein, die Ausstellung jeweils zwischen 10 und 20 Uhr. Die Berliner Polizei wird ein besonderes Auge auf diesen besonderen Platz haben und rechte Schmierereien doch nicht verhindern können. Die Politiker wissen das und machen sich Sorgen um das Ansehen Deutschlands in der Welt. Eisenman sieht das ganz anders: "Inmitten dieser ganzen politischen Korrektheit, die wir aufgebaut haben, kommen Antisemiten und sagen: ,Wir hassen das Mahnmal!' Wissen Sie was? Das finde ich sehr gut."