Berlin. ABENDBLATT: Ariel Scharon kämpft um sein Leben und wird möglicherweise nicht in die Politik zurückkehren. Was bedeutet das für Israel?

SHIMON STEIN: Darüber kann ich im Moment nicht spekulieren. Ich bin - wir alle sind vor allem mit unseren Gedanken bei Scharon und hoffen auf seine baldige Genesung.

ABENDBLATT: Welche Charaktereigenschaft zeichnet Scharon, den mit Abstand beliebtesten Politiker in Israel, besonders aus?

STEIN: Das sind Tapferkeit, Mut, Entschlossenheit. Scharon hat Führungsqualitäten. Seine Karriere hat er militärisch begonnen, scheut sich aber auch in der Politik nicht vor Auseinandersetzungen und riskanten Operationen. Scharon ist immer gut für Überraschungen. Das hat man bei seinen historischen Entscheidungen in den letzten Jahren gesehen, die ihm zuvor niemand zugetraut hatte. Außerdem war er in der Lage, seine Likud-Partei, die er gegründet hatte, zu verlassen, um eine neue Partei - Kadima - zu gründen und so den Weg, an den er glaubt, weitergehen zu können.

ABENDBLATT: Hat Kadima, die sich in Umfragen gut behauptet, ohne Scharon bei den Wahlen im März überhaupt eine Chance?

STEIN: Was für die israelische Bevölkerung zählt, ist das Gefühl, mit ihm eine feste Säule zu haben. Jemanden, der Führungsstärke und Entschlossenheit ausstrahlt und weiß was er will. Schließlich ist Scharon kein Diktator. Ihm folgen in einer Demokratie Menschen, die er überzeugt hat, daß sein politischer Weg am Ende der richtige ist. Darum glaube ich, daß jeder, der für den Weg des Kompromisses, der den jüdischen und demokratischen Charakter Israels aufrechterhalten wird, weiter verfolgt, auch die israelische Bevölkerung hinter sich haben wird. Scharon hat diese Zuversicht, die von der Bevölkerung geteilt wird. Das spiegelt sich in einer Demokratie zunächst in Umfragen wider und am Tag der Wahl in der Zustimmung der Wähler.

ABENDBLATT: Ägyptens Präsident Mubarak bezeichnet Scharon als den einzigen Politiker, der einen Frieden im Nahost-Prozeß aushandeln und durchsetzen kann.

Stein: Ich würde solche Beschreibungen vermeiden. Die gesamte Geschichte ist von großen Personen geprägt worden, und trotzdem geht die Geschichte immer weiter. Sehen Sie, vor drei Jahren war es beinahe noch ein riskantes Unterfangen, in Deutschland über Scharon zu sprechen. Damals war er die Inkarnation eines Dämons. So schnell ändert sich die öffentliche Meinung, wenn ein Politiker so handelt, wie es in das Konzept paßt. Außerdem: Auf Englisch sagt man, "it takes two to tango" (für einen Tango braucht man zwei Personen), um im Nahen Osten etwas zu bewegen. So entschlossen zum Frieden und so kompromißbereit, wie Ariel Scharon in letzter Zeit war und wie es die Israelis seit geraumer Zeit sind, so müssen wir doch Partner für die Verhandlungen finden. Und da verfolgen wir mit großer Sorge den Zustand der Palästinenser und die chaotischen Verhältnisse im Gaza-Streifen. Mit großer Sorge nehmen wir die Schwäche von Palästinenserpräsident Abbas zur Kenntnis. Es reicht eben nicht, daß wir zum Frieden entschlossen sind. Einseitig ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Sollte die Hamas wie prognostiziert bei den palästinensischen Wahlen Ende Januar Zulauf gewinnen, dann ist die Perspektive für die Aufnahme politischer Gespräche düster. Dann ist eine Stagnation programmiert.