Juschtschenko: Der Oppositionsführer glaubt, das Regime habe ihn vergiften lassen. Ein Arzt mutmaßt: Es könnte Dioxin gewesen sein.

Kiew. Viktor Juschtschenkos mysteriöse Krankheit gibt Anlaß zu Spekulationen. Der Politiker beschuldigt die Regierungsbehörden, ihn vergiftet zu haben. Seine Kritiker sagen, er habe einfach verdorbenes Sushi gegessen und zuviel Cognac getrunken. Dies hat der Oppositionsmann zurückgewiesen. Sicher ist, daß sich Juschtschenkos Äußeres seit Beginn seiner Erkrankung Anfang September dramatisch verändert hat.

Zweimal ließ sich der frühere Zentralbankchef und ehemalige Ministerpräsident seither in einer Privatklinik in Wien behandeln. Rühren die Symptome von Toxinen her, wie sie in biologischen Waffen vorkommen? Früher galt der 50jährige als gutaussehend. Inzwischen ist seine Haut narbenübersät und schimmert grünlich. Juschtschenkos Gesicht ist geschwollen und teilweise gelähmt. Eines seiner Augen öffnet sich häufig unvermittelt weit.

"Es ist ein Rätsel", sagt Marc Siegel, Dozent an der medizinischen Fakultät der Universität New York. "Eine Lebensmittelvergiftung scheint unwahrscheinlich, weil schon soviel Zeit verstrichen ist." Die meisten Formen von Lebensmittelvergiftung seien zeitlich begrenzt.

Juschtschenko begab sich am 10. September nach Wien, vier Tage nach dem ersten Auftreten der Symptome. Für Tests zur Ermittlung einer möglichen Vergiftung war dies zu spät. In der Klinik Rudolfinerhaus habe sich der Präsidentschaftskandidat einer einwöchigen Behandlung wegen einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, einer viralen Hauterkrankung und einer Nervenlähmung der linken Gesichtshälfte unterzogen. Klinikdirektor Michael Zimpfer: "Einige von Juschtschenkos Symptomen waren nicht erklärbar, darunter seine starken Rückenschmerzen." Streß oder eine Virusinfektion könnten nicht ausgeschlossen werden.

Juschtschenkos Ärzte in Kiew sagen, "Chemikalien, die nicht von Nahrung herrühren", hätten die Symptome hervorgerufen. Zimpfer und der Chefarzt der Klinik, Lothar Wicke, forderten die Unterstützung eines Experten für Militäraktionen und biologische Waffen an. Örtliche Medien berichteten, die Krankenakte des Politikers sei versiegelt und der österreichischen Staatsanwaltschaft übergeben worden.

Der Leiter eines 15köpfigen Parlamentsausschusses zur Untersuchung der mysteriösen Erkrankung, Wolodimir Siwkowitsch, sagte jüngst, Gerichtsmediziner hätten keine Spuren biologischer Waffen in Juschtschenkos Blut, seinen Nägeln, Haaren oder dem Urin gefunden. Dozent Siegel aus New York mutmaßt, Juschtschenko könne an einem unbekannten Virus leiden. "Aber wenn es ein Virus ist, müßte es irgendwann besser werden."

John Henry, Toxikologe der Universität London, glaubt, Juschtschenko könne an einer Chlorakne leiden, hervorgerufen von giftigen Chemikalien. Eine Behandlung mit Steroiden oder eine Quecksilbervergiftung könnte ähnliche Symptome bewirken, doch deute die grünliche Färbung eher auf eine Dioxinvergiftung hin. Dioxin in einer einzelnen höheren Dosis in einem Nahrungsmittel könne eine Erkrankung hervorrufen. Doch diese könne noch lange Zeit nachgewiesen werden. (ap)