Hamburg. Diana Kanukowa (23) kann kaum fassen, was sie im Fernsehen an Bildern aus ihrer Heimatstadt Beslan sieht. Fast wäre sie dort jetzt als Lehrerin auch gewesen. "Letztes Jahr hatte ich schon ein Angebot. Ich wollte aber erst noch ins Ausland. Daher bin ich jetzt hier und nicht dort", sagt sie. Diana hat in Ossetien Deutsch und Englisch studiert. Seit Februar lebt sie als Au-pair-Mädchen in einer Hamburger Familie.

Immer wieder zeigt sie auf den Fernseher. Ein Mann in einem weißen Hemd und mit einem Maschinengewehr läuft durch das Bild: "Das ist unser örtlicher Polizeichef." Eine aufgelöste Frau in braunem Kleid erkennt sie als Schulbibliothekarin. Seit Beginn des Geiseldramas telefoniert Diana mehrmals am Tag mit ihren Verwandten und Freunden vor Ort. Daher weiß sie immer schon im Voraus, was die nächsten Nachrichten bringen werden. Wie sie sich zurzeit fühlt? "Es ist unbeschreiblich, was in meiner Stadt, mit meinen Nachbarn passiert."

Der Terrorüberfall - ausgerechnet in Beslan - hat sie völlig überrascht. "Sonst werden Anschläge doch nur in Hauptstädten verübt", sagt Diana. Sie glaubt, dass die 35 000-Einwohner-Stadt eher zufällig ausgewählt wurde. Der Anschlag sei, so vermutet sie, eigentlich für ein großes Fest geplant gewesen, das immer am ersten September in der ossetischen Hauptstadt Vladikavkaz stattfindet. Die Schule, in der die Geiseln gefangen gehalten wurden, liege genau an der Hauptverkehrsstraße in Richtung Hauptstadt.

An der Straße wohnt auch Dianas Familie. Außer der Mutter, die als Krankenschwester die Verletzten versorgt, sollte in den vergangenen Tagen niemand auf die Straße. Eine ihrer Nachbarinnen sei gestern mit ihren drei Kindern - eines davon ein Baby - den Terroristen entkommen. Diana geht davon aus, dass viele der männlichen erwachsenen Geiseln tot sind. "Meine Mutter weiß das von einem Verletzten aus dem Krankenhaus", sagt sie.

Auch für die Befreiungsaktion am Freitag hat sie eine Erklärung: "Eigentlich sollten nur die Toten aus der Schule rausgebracht werden, dabei sind Kinder geflohen, und dann eskalierte alles." Denn in Ossetien sei es Brauch, dass die Toten vor der Beerdigung noch zwei Tage zu Hause aufgebahrt werden müssen. Darauf hätten sich die Unterhändler mit den Terroristen geeinigt. Das habe sie wiederum von ihrer Freundin Sarina. Als die beiden gestern Nachmittag telefonierten, schrie der Bruder der Freundin dazwischen: "Sag ihr, bei uns ist Krieg!"

Ob Diana Kanukowa im nächsten Februar nach Beslan zurückkehrt, weiß sie noch nicht. Sie hat sich bei der Hamburger Universität für die Studiengänge Russisch und Pädagogik auf Lehramt beworben.