Als Veränderer und Visionär verkörpert der 44. Präsident die bewundernswerte Eigenschaft der USA, sich immer wieder neu zu erfinden. Die Erwartungen sind weltweit riesig. Doch Obama weiß um die Gefahr einer maßlosen Enttäuschung.

Hamburg. Das Prinzip Hoffnung ist ein uramerikanisches Prinzip. Gegründet von Rebellen, Dissidenten, Abweichlern und Abenteurern, denen die Alte Welt zu viele Schranken auferlegte - soziale, religiöse, politische und geistige -, haben die USA stets Neues hervorgebracht, Wagemutiges, Grenzen sprengendes.

Barack Obama, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, erstes afroamerikanisches Oberhaupt eines Staates, in dem die Sklaverei nur einen Wimpernschlag der Geschichte zurückliegt, in dessen Süden noch immer mancherorts die Flammenkreuze des Ku-Klux-Klans lodern, ist die fleischgewordene Hoffnung auf eine Erneuerung des bedenklich verblassten amerikanischen Traums.

"I have a dream ...", hat Martin Luther King, die Ikone der Schwarzenbewegung, einst ausgerufen. Der Traum, den er hatte, bezog sich vorwiegend auf die Gleichberechtigung der Rassen. Obama, der Sohn eines "rabenschwarzen Vaters und einer milchweißen Mutter", wie er selber sagt, geboren auf Hawaii, aufgewachsen in Indonesien, mit einem Halbbruder, der unbeirrt in den Slums von Nairobi haust, ist die Antwort auf Reverend Luthers Gebete; ein amerikanischer Ein-Mann-Schmelztigel.

Doch mit der weitgehenden Überwindung rassistischer Ressentiments hat Barack Obama, dessen Hautfarbe vielen Weißen noch immer zu dunkel und vielen Schwarzen zu hell ist, lediglich den Sockel jener gewaltigen Pyramide an Hoffnungen und Erwartungen erklommen, die himmelhoch vor ihm aufragt. Es geht um Wirtschaft, um Krieg und Frieden, um das Wohl und Wehe von Abermillionen Menschen, nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Oft ist das schwere Wort "messianisch" im Wahlkampf gefallen, wenn Menschen zwischen Atlanta und Augsburg, Toronto und Tokio mit glänzenden Augen Richtung Chicago blickten, auf einen jungen Senator, von dem man erwartete, dass er nun alle Wunden der Welt heilen werde.

Obama weiß um die Gefahr einer maßlosen Enttäuschung. Noch in der Nacht seines Wahlsieges warnte er prophylaktisch - übrigens keineswegs triumphal und siegestrunken, sondern eher von geradezu asketisch verhaltener Freude erfüllt: "Der Weg vor uns ist lang, der Aufstieg steil, wir werden vielleicht nicht in einem Jahr oder sogar einer Amtszeit ans Ziel kommen." Der Sieg allein sei noch nicht der Wandel - sondern nur die Chance auf den Wandel. Gehört haben diese Worte Milliarden, ihren Sinn verstand nur ein Bruchteil davon. Hier sagte jemand: Ich bin kein übernatürliches Wesen, ich bin ein ganz normaler Mensch mit Fehlern und Unzulänglichkeiten, wenn auch mit einem eisernen Willen und einer Vision. Ich werde mir Mühe geben, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass ich eure Hoffnungen erfüllen werde.

Der 44. Präsident übernimmt ein Land, das sich in einer tiefen Krise befindet. Natürlich wäre es ein bedenklich schiefes Bild, wenn man die USA mit der verblichenen Sowjetunion vergleichen würde, die einen tiefen Fall aus dem Olymp der Supermacht zu verkraften hatte und seit Jahren rekonvaleszent ist. Doch zur groben Illustration mag es hier dienen. Noch nie in der zehntausendjährigen Geschichte der Zivilisation war ein Land derart mächtig wie die USA nach der Implosion des Moskauer Imperiums. Und noch nie ist eine solche Überlegenheit, ist der Bonus an Vertrauen und Sympathie in so kurzer Zeit in so weiten Teilen verspielt worden - durch Arroganz, Inkompetenz und ideologisch verengte Tunnelsicht. Auch weiterhin werden die USA für sich betrachtet der stärkste Staat auf Erden sein, doch bald nur noch ein Pol in einer multipolaren Welt. Das trennende bushsche Credo, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns", ist gänzlich untauglich für die neue Weltordnung. Auch Barack Obama wird in erster Linie amerikanische Interessen vertreten, da mache sich niemand etwas vor, doch ist der frühere Armenanwalt zumindest moderater im Ton und gewohnt, konträre Positionen zu respektieren und eine Lösung im Gespräch zu suchen. Darin liegt auch eine Hoffnung für das zeitweise arg beschädigte transatlantische Verhältnis. Amerika im Niedergang: teilverstaatlichte Banken, ein marodes Bildungssystem, ein Energienetz auf Dritte-Welt-Niveau, 10 000 zwangsversteigerte Häuser pro Tag, zwei verlustreiche Kriege, deren hoffnungsvollste Perspektiven allenfalls in einer gesichtswahrenden Exit-Strategie bestehen, und eine ehemals weltbeherrschende Autoindustrie am Rande der Verschrottung - die Aufgaben für den Präsidenten Obama sind zunächst an der Heimatfront von herkulischer Wucht. Der Kapitalismus als Seelenachse Amerikas ist in der Krise; wie erklärt man einem 50 Jahre alten Arbeitslosen im Rostgürtel der USA, dass seine Ersparnisse weg sind, verbrannt, versenkt, in den Sumpf spekuliert, während sich der dafür Verantwortliche mit einer halben Milliarde Dollar an Prämien und Bezügen ins Privatleben zurückzieht? Sogar der uramerikanische Traum vom eigenen Haus ist zerplatzt, zerstört durch jene Gier, die lange als Motor des Systems gelobt wurde. Barack Obama, der Veränderer mit dem sozialen Gewissen, muss den Kapitalismus entgiften, um Amerika gesunden zu lassen. Und er ist fest entschlossen, das benzinsaufende Land, Hauptemissionär an zerstörenden Gasen, umweltpolitisch auf einen grünen Zweig zu zwingen.

Das Mantra "Yes we can", wir schaffen das schon, hat den weltpolitisch recht unerfahrenen Obama durch den Wahlkampf getragen. Unablässig hat er seine feste Absicht betont, den Wechsel - Change - in den zutiefst verunsicherten USA herbeizuführen. Doch Versprechungen sind wohlfeil, jeder Oppositionelle weiß das, und oft schwer umzusetzen, das weiß wiederum jeder Regierende. Vor Barack Obama, dem Magier der Worte, präsidial-staatsmännisch schon als Kandidat, der für viele Wähler charismatisch zwischen Martin Luther King und John F. Kennedy oszilliert, liegt nun die Knochenmühle der Realpolitik. Was dort hineingeworfen wird an Plänen, Gesetzesinitiativen und guten Absichten, fällt oft kaum wiedererkennbar zerrupft wieder heraus. 47 Millionen Amerikaner warten noch immer auf eine Krankenversicherung, Millionen auf einen Job, Israelis und Palästinenser überdies auf Frieden, die Afghaner und Iraker auf Wohlstand und Gewaltlosigkeit, die ganze Welt auf zielführende Wegweisung aus der wirtschaftlichen, politischen und moralischenKrise.

Zwei Drittel der Amerikaner sind überzeugt davon, dass der 44. Präsident ein herausragender sein werde. Und dies, bevor er noch eine einzige Entscheidung gefällt hat. Es sind wilde Hoffnungen, die sich wie eine tonnenschwere Last auf die Schultern des Amtsinhabers legen.

Seine literarischen Bestseller "The Audacity of Hope", was wörtlich der Wagemut des Hoffens bedeutet, und "Dreams from my Father" , die von seinem schwarzen Vater erzählten Träume, hat Obama geschrieben, noch bevor er Präsidentschaftskandidat wurde. Manche meinen, heute würde er sich die aus diesen Büchern sprechende erstaunliche Offenheit, diese lustvolle Verachtung für Ostküsten-Lobbyismus und Pressure Groups, gar nicht mehr leisten können, auch nicht mehr zugeben können, dass er gar mal Marihuana inhaliert habe. Dass seine Feinde stets seinen Mittelnamen "Hussein" diffamierend im Munde führen, ist immerhin ein Ritterschlag, denn es ist Indiz für die zähneknirschende Ohnmacht der Rechten angesichts dieses Tsunami an Sympathie für den Kandidaten Obama, der die USA überrollte.

Als junger Anwalt und Senator hat sich Obama druckvoll für die Probleme sozial Benachteiligter eingesetzt, arbeitete nicht auf dem Capitol oder in der Wall Street, sondern eher in der "Straße der Ölsardinen". Er stammt eben nicht aus einer reichen, machtvollen Dynastie wie die Bushs oder Kennedys, hat das byzantinische Washington mit seinen vielen Schlangengruben stets verachtet. Obama weiß um den isolierenden Festungscharakter des Weißen Hauses, um die lückenlose Abschirmung durch den Secret Service, um den fast völligen Verlust der Intimsphäre. Freunde machen sich bereits Sorgen, dass er am Ende dem Gift der Macht erliegen könnte. Schon jetzt sucht Obama nach Möglichkeiten, geerdet zu bleiben, pflegt geradezu verzweifelt lieb gewordene private Rituale und Freundschaften zu Normalbürgern. Die allerdings bald immer seltener zu ihm durchdringen werden.

Die beiden mächtigsten Gestalten in seinem Kabinett, Vize Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton, sind abgeschliffen und gehärtet im politischen Stahlbad der Hauptstadt; Clinton vor allem ist eine wohlgeölte Machtmaschine, die hehre Prinzipien eher als Sand im Getriebe wahrnimmt. Barack Obama muss zum Präsidenten werden, ohne zum Zyniker zu verkommen. Es ist vielleicht die größte seiner vielen Herausforderungen. Und nach der an Zynismen unübertroffenen Bush-Ära vielleicht die größte Hoffnung seines Volkes.

Ein Augenblick hat per Definition die Eigenschaft, rasch vergänglich zu sein. Der "amerikanische Augenblick" war jener, als Barack Obama, ein liberaler schwarzer Visionär von bescheidener Herkunft, in das Weiße Haus gewählt wurde. Er ereignete sich, als sich das "Amerikanische Jahrhundert" dem Ende zuzuneigen begann. Das ist kein Zufall: Obama verkörpert die bewundernswerte Eigenschaft Amerikas, sich zu heilen, sich neu zu erfinden, das amerikanische Prinzip Hoffnung mit prallem Leben zu erfüllen.

Hoffnung, neben Glaube und Liebe eine der drei christlichen Tugenden und das Gegenteil von Verzweiflung, ist die positive Ausrichtung des Menschen auf die Zukunft. Ob die Hoffnung im Falle des Barack Obama nur der erste Schritt auf der Straße der Enttäuschung sein wird, wie Zyniker und Pessimisten meinen, ist eine Möglichkeit. Doch ohne diesen Visionär und Veränderer wäre es vielleicht eine Gewissheit.