Als Benedikt XVI. seinen Privatsekretär am nötigsten brauchte, lag Georg Gänswein mit Fieber im Bett. Eine Grippe hatte ihn erwischt. Er ist kein...

Rom. Als Benedikt XVI. seinen Privatsekretär am nötigsten brauchte, lag Georg Gänswein mit Fieber im Bett. Eine Grippe hatte ihn erwischt. Er ist kein Kardinal der Kurie, kein päpstlicher Chefberater. Doch der Prälat ist so etwas wie die rechte Hand des Papstes und sein letzter Bodyguard. Er muss den Pontifex vor der Eingabenflut schützen und die wichtigen aus den unwichtigen Botschaften filtern. Dieser Aufgabe konnte Gänswein an drei Tagen im Januar nicht nachkommen. War es höhere Gewalt? Es war jedenfalls einer der Gründe für das Unheil, das sich nun über dem Pontifikat Benedikts XVI. zusammengebraut hat. Was aber waren die anderen Gründe, wie entstand die Affäre um die Aufhebung der Exkommunikation von vier Lefebvre-Bischöfen?

"Durch ignorante Schlamperei und mangelhafte Kommunikation in der Kurie" sei es zu dieser Katastrophe gekommen, heißt es bei Kennern des Vatikans. Der Papst sei "beim Brückenbau in reißendes Wasser gestürzt". Besonders in der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei sei schlampig gearbeitet worden. "Nein", widerspricht dem Prälat Camillo Perl, Vizepräsident dieser Päpstlichen Kommission unter dem kolumbianischen Kardinal Hoyos. "Die vier Bischöfe der Bruderschaft Sankt Pius X. hatten den Papst wiederholt gebeten, die Exkommunikation gegen sie aufzuheben", erzählt Perl. "Das verstanden sie als eine Art Vorbedingung, um danach gemeinsame Gespräche über die Überwindung des Schismas zu beginnen, zu dem es leider schon gekommen war."

Freilich hatte Benedikt eine erste Forderung dieser Gruppe, die Freigabe der Messfeier nach dem tridentinischen Ritus, schon erfüllt, vermutlich weil die Freigabe auch in seinem Sinne war. "Um der Einheit willen", so Perl weiter, "wollte er deshalb eben nun auch diese vier Bischöfe auf ihren wiederholt vorgebrachten Wunsch 'begnadigen'. Dieser Akt bezog sich nur auf die Aufhebung der Exkommunikation. Dafür wurde nicht eigens in ihrem Privatleben nachgeforscht oder welche politischen Ansichten sie haben", erklärt jedenfalls Perl, der dies so begründet: "Es handelte sich ja nicht um die Ernennung eines neuen Bischofs, sondern um die Wiederaufnahme von Bischöfen, die schon geweiht waren. Es war einfach niemandem in den Sinn gekommen, dass sich unter ihnen ein britischer Exzentriker befand - und was er dachte. Man arbeitet hier nicht auf eine Weise, die Verschwörungstheorien entspricht. Wer so etwas denkt, überschätzt Rom maßlos."

Außerdem sei der Entscheidung zur Begnadigung ein langer Prozess vorausgegangen. Die überwiegende Mehrheit der Kardinäle hatte dem Schritt Ende 2007 schon zugestimmt. Perl: "Es war immer klar, dass dem noch ein weiterer Prozess des Dialogs folgen sollte, in dem über die Schwierigkeiten gesprochen werden wird, die bisher diese Bischöfe von der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche fernhielten." Wobei offenbleibt, warum seit 2007 niemandem die Meinungen Williamsons aufgefallen waren. "Ja, wir haben vor allem mit Monsignore Fellay gesprochen", sagte Kardinal Hoyos schon letzte Woche, "dem Generaloberen der Bruderschaft, und bis zum letzten Moment dieses Dialogs haben wir absolut nichts von diesem Williamson gewusst. Als ich das unterzeichnete Dekret Monsignore Fellay überreicht habe, wussten wir nichts von diesem Interview" - in dem Williamson den Holocaust leugnete. Keiner im Vatikan hatte hinter den Bischöfen hergegoogelt. Hat aber auch keiner die über Williamson vorliegenden Zeitungsberichte gelesen?

"Ein Problem war, dass fast nur mit Bischof Fellay gesprochen worden war", sagt auch ein hoher Prälat im Staatssekretariat. "Es gab Kompetenzgerangel. Bei uns lagen ab dem 22. Januar Informationen über Bischof Williamson vor. Wir haben alles versucht zu verhindern, dass das Papier zur Exkommunikation am 24. veröffentlicht wurde. Die Unterschrift war zwar schon am 21. Januar unter dem Dokument, dennoch wäre eine Aufschiebung möglich gewesen. Aufschiebungen hat es auch früher schon gegeben. Denn das Papier war auch nicht gut überlegt, die kirchenrechtliche Stellung blieb danach unklar."

Neben Hoyos, dem Verantwortlichen, der es eilig hatte, sei Kardinalstaatssekretär Bertone "relativ zurückhaltend" in der Sache gewesen. Kardinal Levada aber, der Leiter der Glaubenskongregation, war nach einem Bandscheibenvorfall gerade wieder geschwächt an seinen Schreibtisch zurückgekommen. Noch am frühen Morgen des 24. Januar kam eine E-Mail aus England im Vatikan an, in der es hieß: "Wenn der Papst die Exkommunikation aufheben will, nachdem Williamson den Holocaust geleugnet hat, werden die Feinde des Papstes versuchen, ihn zu zerstören. Wir stehen am Rand einer Katastrophe. Weiß Monsignore Gänswein das nicht?" - Der Papst wusste von nichts. Prälat Gänswein hätte es wohl gewusst. Doch er lag krank im Bett.

Und so war es dann jener verregnete Sonnabend in Rom, als mittags um 12 Uhr im Pressesaal des Heiligen Stuhls ein dürres Communique verteilt wurde, das die Aufhebung der Exkommunikation verkündete.

In der gestrigen Generalaudienz ging der Papst schon gar nicht mehr auf den Fall ein, sondern legte den Schluss des Zweiten Timotheus-Briefs aus: "Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten ..." Hielt er den Fall vielleicht schon für erledigt wie Kardinalstaatssekretär Bertone?

Minuten später aber wurde vom Staatssekretariat die Erklärung verkündet, in der es heißt: "Bischof Williamson wird sich in absolut unzweideutiger Weise öffentlich von seinen Positionen distanzieren müssen, die die Schoah betreffen, um in der Kirche die Zulassung zu bischöflichen Handlungen zu erlangen. Der Heilige Vater kannte zum Zeitpunkt des Nachlasses der Exkommunikation diese Positionen nicht." Zudem müsse sich die Piusbruderschaft zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils bekennen.

Geschieht dies nicht, haben die Piusbrüder im Grunde noch nichts gewonnen. Denn sie wurden - das gibt Prälat Camillo Perl zu bedenken - durch die päpstliche Aufhebung der Exkommunikation sogar herabgestuft, auf einen Status, in dem sie keine Bischofsämter mehr haben, sondern wie einfache Christen anzusehen sind, denen unter anderem das Bußsakrament nicht mehr verwehrt werden sollte. Wenn sie diesen Status hinter sich lassen und wieder in ihre Ämter eintreten wollen, müssen sie, so jedenfalls forderte es der Vatikan, über ihren Schatten springen. Und Williamson wird völlig umdenken müssen.