Der Streit um die Rehabilitierung des englischen Bischofs und Holocaust-Leugners Richard Williamson geht in die nächste Runde: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nimmt Benedikt XVI. gegen Kritik in Schutz – auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. “Vieles, was dem Papst jetzt unterstellt wird, ist beinahe bösartig, jedenfalls nicht redlich“, sagte Lammert im Interview mit abendblatt.de.

abendblatt.de: Herr Präsident, der Papst hat den Kirchenbann über vier traditionalistische Bischöfe aufgehoben. Einer von ihnen leugnet den Holocaust. Ist Benedikt XVI. von allen guten Geistern verlassen?

Norbert Lammert: In dieser Frage scheint er eher von allen guten Beratern verlassen zu sein. Es gibt jedenfalls eine unglückliche Vermischung von zwei ganz unterschiedlichen Sachverhalten, die aber gerade in dieser Verbindung eine extreme explosive Wirkung erzeugen.

abendblatt.de: Inwiefern?

Lammert: Die innerkirchliche Brisanz liegt in einem doppelten Signal: Der Papst wollte eine Versöhnungsgeste geben und diese sehr kleine ultrakonservative Gruppierung in die Kirche reintegrieren. Diese Geste erfolgte nach allem, was wir wissen, ohne jede Voraussetzung insbesondere ohne die Voraussetzung eines ausdrücklichen Bekenntnisses zu den Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils...

abendblatt.de: ... was Sie kritisieren. Lammert: Die päpstliche Versöhnungsgeste wird leider zugleich als ein Signal verstanden, dass das Zweite Vatikanum für das Selbstverständnis der Katholischen Kirche vielleicht nicht die Bedeutung hat wie für den allergrößten Teil der engagierten katholischen Christen. Das hat mit dem anderen Thema, diesen unsäglichen, auch gar nicht weiter diskussionswürdigen Äußerungen zum Holocaust überhaupt nichts zu tun.

abendblatt.de: Tatsache ist: Der Papst hat einen Holocaust-Leugner rehabilitiert.

Lammert: Nein, und schon gar nicht bewusst. Vieles, was dem Papst jetzt unterstellt wird, ist beinahe bösartig, jedenfalls nicht redlich.

abendblatt.de: Worauf wollen Sie hinaus?

Lammert: Das Verfahren zur Aufhebung der Exkommunikation war offenbar abgeschlossen, bevor es diese berüchtigte Regensburger Äußerung von Williamson überhaupt gab. Allerdings hat sich besagter Bischof nicht zum ersten Mal in dieser oder einer ähnlichen Weise geäußert. Das hätte eigentlich dem Vatikan im Verfahren auffallen müssen. Und dass Papst Benedikt XVI. die von ihm getroffene oder gebilligte Entscheidung persönlich zwei Tage nach Bekanntwerden dieser Williamson-Äußerung von Regensburg aufrechterhalten und öffentlich vorgetragen hat, das ist nicht nur mir völlig unverständlich.

abendblatt.de: In Deutschland gehen immer mehr Bischöfe auf Distanz zum Papst. Wie groß ist der Schaden für die Katholische Kirche?

Lammert: Ich warne vor Übertreibungen in beide Richtungen, schon gar ist im Lichte einer 2000-jährigen Kirchengeschichte. Das ist keine Lappalie. Ich erinnere mich an keine vergleichbare innerkirchliche Situation zu meinen Lebzeiten, bei der nicht nur unter den Laien, sondern auch im Episkopat Verlautbarungen oder Entscheidungen des Papstes auf eine so breite Ablehnung oder Distanz gestoßen sind. Ich rate dazu, das Problem nicht zu verniedlichen. Es gibt aber inzwischen eine Art rhetorischen Überbietungswettbewerb, den ich weder gerechtfertigt noch fair noch in der Sache hilfreich finde.

abendblatt.de: Was wäre denn hilfreich?

Lammert: Im Augenblick lässt sich leider eher formulieren, was nicht hilfreich ist: Die nächste öffentliche Aufforderung an den Vatikan, wie er sich gefälligst verhalten müsse, ist sicher nicht hilfreich.

abendblatt.de: Die Bundeskanzlerin hat den Papst öffentlich zu einer Klarstellung aufgefordert. War das hilfreich?

Lammert: Jenseits aller innerkirchlichen Aspekte darf jedenfalls kein Zweifel daran aufkommen, dass die Leugnung des Holocaust politisch unter keinen Umständen tolerabel ist.

abendblatt.de: Angela Merkel fordert eine Klarstellung, dass es keine Leugnung des Holocaust geben könne und dass es einen positiven Umgang mit dem Judentum geben müsse. Steht das für den Vatikan in Zweifel?

Lammert: Nein. Gerade deshalb ist ebenso unbegreiflich wie ärgerlich, dass durch das vatikanische Vorgehen ein solcher Eindruck überhaupt entstehen konnte. Noch einmal: Zweifel an der Position der Katholischen Kirche und des Papstes halte ich in der Sache für völlig unbegründet.

abendblatt.de: Ist es denn grundsätzlich sinnvoll, dass Benedikt XVI. den Extremisten der Levebvre-Strömung entgegenkommt?

Lammert: Dazu kann ich als Parlamentspräsident nichts sagen, höchstens als Katholik: Das Bemühen um Versöhnung und Integration bedarf keiner besonderen Begründung oder gar Rechtfertigung. Aber auch und gerade in solchen Zusammenhängen kann Versöhnung nicht um jeden Preis stattfinden. Durch die Ereignisse der letzten Woche ist ungleich größerer Schaden entstanden als die Aufrechterhaltung der Exkommunikation je hätte verursachen können.