Französische Berichte über mehr als 10.000 Tote in Tripolis. Schon wer den Fernsehsender al-Dschasira anschaltet, wird verhaftet.

Paris/Tripolis. Die Nato hat ihren Militäreinsatz in Libyen um weitere drei Monate bis Ende September verlängert. Dies beschloss der Nato-Rat nach Angaben des Bündnisses vom Mittwoch in Brüssel. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einer „klaren Botschaft“ an das libysche Regime von Machthaber Muammar al-Gaddafi: „Wir sind entschlossen, unseren Einsatz zum Schutz der libyschen Bevölkerung fortzusetzen.“

Die Nato hatte den Einsatz am 31. März begonnen. Das Mandat war zunächst auf 90 Tage, also bis Ende Juni, befristet. Es wurde nun um weitere 90 Tage verlängert. An dem Einsatz „Geeinter Beschützer“ sind insgesamt 17 Staaten mit knapp 200 Flugzeugen und 18 Schiffen beteiligt. Er besteht aus einer Seeblockade, einem Waffenembargo und Luftschlägen – bisher rund 3500 – gegen gaddafi-treue Truppen.

Dabei stützt sich die Nato auf das Mandat des Uno-Sicherheitsrates, wonach zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Gewalt durch Gaddafis Truppen „alle notwendigen Maßnahmen“ erlaubt sind. Deutschland nimmt an dem Einsatz nicht teil und hat sich bei der Abstimmung im Uno-Sicherheitsrat enthalten.

Allein im Großraum Tripolis sind nach Einschätzungen französischer Diplomaten in den vergangenen drei Monaten bis zu 10.000 Menschen getötet worden. Machthaber Muammar al-Gaddafi betreibe in der libyschen Hauptstadt eine Politik der verbrannten Erde, berichtete die regierungsnahe französische Zeitung „Le Figaro“ unter Berufung auf diplomatische Kreise. Eine offizielle Bestätigung der Zahlen gab es zunächst nicht. „Gaddafi will Schrecken verbreiten und jeden Aufstand im Keim ersticken“, zitiert das Blatt einen Diplomaten. Etwa 20.000 Menschen seien bereits festgenommen worden. Es reiche aus, den in Katar ansässigen Nachrichtensender al-Dschasira anzuschalten, um festgenommen zu werden.

Gaddafi benutze Häftlinge als menschliche Schutzschilder. In mindestens zwei Fällen seien Frauen auf Befehl vergewaltigt worden. Gaddafis Anhänger schreckten nicht einmal davor zurück, die Krankenhäuser zu plündern und zu verwüsten. So seien in manchen Krankenhäusern absichtlich Blutkonserven zerstört worden. Die Bevölkerung klage darüber, dass Telefongespräche abgehört würden. „Niemand traut sich mehr, etwas zu sagen“, berichtet ein Diplomat. Frankreich und Großbritannien hatten kürzlich beschlossen, Kampfhubschrauber nach Libyen zu schicken. Bislang gibt es keine offiziellen Angaben, ob der Einsatz bereits begonnen hat.

Während Gaddafi weiterhin seinen Rücktritt ausgeschlossen hat, hat Italiens Außenminister Franco Frattini bei einem Besuch in der Rebellenhochburg Bengasi der Opposition Unterstützung mit Treibstoff und Hunderten Millionen Dollar versprochen. Nach der Rückkehr des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma von einer Reise nach Tripolis veröffentlichte sein Büro eine Stellungnahme, in der er sich besorgt über Gaddafis Sicherheit äußerte.

Zuma war am Montag nach Libyen gereist, um Gaddafi einen Waffenstillstandsvorschlag der Afrikanischen Union (AU) zu unterbreiten, der den Weg zu einem Dialog öffnen soll. Gaddafi habe dem Vorschlag zugestimmt, hieß es in der Erklärung. Gaddafi habe ein Ende der Luftangriffe verlangt, um einen libyschen Dialog zu ermöglichen. Dabei habe Gaddafi auch klargestellt, dass er trotz der Schwierigkeiten nicht bereit sei, das Land zu verlassen, hieß es.

In New York informierte der Uno-Untergeneralsekretär B. Lynn Pascoe die Mitglieder des Sicherheitsrats über die Lage in Libyen. Die Positionen von Gaddafi und der Opposition lägen noch so weit auseinander, dass sie selbst von der Aufnahme von Verhandlungen noch sehr weit entfernt seien, sagte er. Trotzdem seien beide bereit, weiter mit dem Uno-Sondergesandten Abdelilah al-Khatib zusammenzuarbeiten.

Die Flucht von fünf Generälen und zahlreichen anderen Soldaten aus Libyen wird von der Nato als Zeichen für das nahende Ende der Herrschaft Gaddafis gesehen. „Gaddafis Terrorherrschaft neigt sich dem Ende zu“, sagte Nato-Sprecherin Oana Lungescu. „Selbst jene, die ihm am nächsten waren, verlassen ihn oder desertieren.“ Die Nato werde den militärischen Druck auf das Gaddafi-Regime weiter fortsetzen. (dpa/dapd)