Der Riesentausendfüßer Graf Zahl lebt in einem alten Apothekerschrank in Hagenbecks Tropen-Aquarium, in der sogenannten Grabkammer.

Stellingen. Als Kind hatte ich wahnsinnige Angst vor ihm. Nicht vor dem Tausendfüßer - solch lustige Gesellen habe ich schon immer gemocht und sehr zum Leidwesen meiner Mutter auch gerne, gemeinsam mit Asseln oder Schnecken, angeschleppt. Nein, vor Graf Zahl, dem gruselig zählenden Vampir aus der Sesamstraße habe ich mich immer hinter dem Sessel versteckt. Nun muss ich meiner widersprüchlichen Empfindungen Herr werden: heißt doch der Riesentausendfüßer in Hagenbecks Tropen-Aquarium ausgerechnet Graf Zahl.

Gemeinsam mit Gespenstheuschrecken, einer Gottesanbeterin und drei Australischen Riesenlaubfröschen lebt das Krabbeltier in einem Terrarium in einem alten Apothekerschrank, in der sogenannten Grabkammer. "An die Schrankseiten oder den Boden kommt er nicht heran", sagt Dr. Guido Westhoff, Leiter des Tropen-Aquariums, und lacht. Keine unwichtige Information: Fressen die zu den Schnurfüßer zählenden Tiere doch neben pflanzlicher Kost auch gerne einmal ein wenig Holz.

Archispirostreptus gigas, so sein wissenschaftlicher Name, lebt normalerweise als einer von 1000 beschriebenen Arten im tropischen Afrika. Insgesamt sind sogar rund 3600 Arten von Schnurfüßern bekannt. Und um es gleich vorweg zu sagen: Keiner von ihnen hat tausend Füße. Westhoff: "Die längste Art hat 750 Beine, also 375 Beinpaare." Graf Zahl bringt es immerhin auf 200 bis 400 Beine in seinem Leben - "bei jeder Häutung werden es ein paar mehr", erklärt der Zoologe.

Die drei Tiere, die Hagenbeck hält, sind noch nicht komplett ausgewachsen. "Sie haben jetzt etwa 20 bis 25 Zentimeter Länge, und 30 Zentimeter können sie erreichen", so Westhoff. Damit haben sie auch noch ein paar Jahre Lebenserwartung vor sich: Riesentausendfüßer können zehn Jahre und älter werden - bei guten Bedingungen, versteht sich. Und da mögen es die kreisrunden Tiere mit einem Durchmesser von zwei Zentimetern gerne zwischen 20 und 25 Grad warm und schön feucht.

Deshalb lassen es Westhoff und seine Kollegen auch ab und zu bei Graf Zahl und seinen Mitbewohnern regnen. "Nur zu hell mögen sie es nicht", sagt er - obwohl ein wenig mehr Licht eine absolute Besonderheit der Tiere deutlicher zeigen würde. Westhoff: "Auf den Riesentausendfüßern leben Milben. Diese putzen die Zwischenräume zwischen den Beinpaaren frei." Wer die winzigen, braunen Milben über die glänzend schwarz-braunen Leiber der Tausendfüßer huschen sieht, muss also nicht befürchten, dass Graf Zahl und seine Artgenossen von Parasiten befallen sind. Im Gegenteil: Die Symbiose ist äußerst harmonisch und für beide - so will es schon der Begriff - von Vorteil.

Wenn es beißt und wehtut, ist es ein Hundert- und kein Tausendfüßer

Die vom Namen ähnlichen Hundertfüßer sind mit den Tausendfüßern nur auf den ersten Blick zu verwechseln. Diese räuberisch lebenden Tiere haben einen abgeflachten und keinen runden Körper, an dem die Beinpaare auch nicht unten an den Segmenten, sondern seitlich daran sitzen. Außerdem sieht man deutlich die großen Giftzangen der wehrhaften Tiere, die die überwiegend vegetarisch lebenden Tausendfüßer zur Überwältigung ihrer Beute nicht brauchen.

Wehrhaft ist Graf Zahl dennoch: "Wie alle Schnurfüßer kann er aus Lücken zwischen seinen Körperringen ein Verteidigungssekret absondern", erklärt Westhoff. Es enthält Blausäure, weshalb es die Tierpfleger tunlichst vermeiden, die stinkende Flüssigkeit ins Auge zu bekommen. Dadurch, dass die Tiere die Säuberung des Geheges jedoch gewohnt sind, rollen sie sich höchstens zusammen. Westhoff: "Sie mögen keine Erschütterung. Und durch das Zusammenrollen schützen sie ihre empfindlichen Beine und den Kopf."

Fast wie eine überdimensionale Lakritzschnecke sieht Graf Zahl dann aus, von dem Westhoff übrigens nicht gänzlich sicher ist, dass er ein Männchen ist. "Wir haben da noch nicht nachgeguckt", sagt er. Männliche Riesentausendfüßer haben sogenannte Gonopoden, zu Geschlechtsorganen umgewandelte Beine in der Höhe des siebten Beinpaares. Da das Liebesleben der Tiere jedoch äußerst diskret verläuft, niemand die Geschlechter der anderen beiden Tiere kennt und es noch keinen Nachwuchs gab, lassen sich die Tierpfleger im Tropen-Aquarium einfach überraschen.

Ich werde beizeiten mal nachschauen gehen, um möglichen Nachwuchs lauthals zu zählen: "Eins, zwei, drrrei ...!". Ganz wie Graf Zahl eben.

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