Tsúru ist ein Mandschurenkranich und gehört als solcher zu einer der am stärksten bedrohten Arten in der Familie der Kraniche.

Hamburg. Sagen Sie zu einem Japaner einmal "Tsúru!" Wenn Sie die Aussprache richtig hinbekommen, könnte es sein, dass er oder sie in Windeseile - und natürlich mit einem freundlichen Lächeln - Ihre eben überreichte Visitenkarte in einen Papierkranich verwandelt. Denn Tsúru heißt Kranich, und der ist eines der beliebtesten Origami-Figuren in Japan. Doch nicht nur das: Er ist auch das Symbol des Glücks, und das findet sich gerade in Hagenbecks Tierpark bestätigt: Hier schlüpft jetzt ein seltener Mandschurenkranich.

Tsúru haben die Tierpfleger das Küken dann auch prompt genannt. "Das erste von diesem Elternpaar - die hatten vorher immer nur unbefruchtete Eier", sagt Roy Schulz, Reviertierpfleger im Vogelrevier. Zwei Eier hatten das zehnjährige Weibchen und ihr zwei Jahre jüngeres Männchen Ende Mai gelegt. Aus einem der Eier schlüpfte am 29. Juni nach 30 Tagen Brutzeit Tsúru.

Ihre Nester bauen sie inmitten von Schilf

"Wir freuen uns besonders darüber, weil es eine Naturbrut war", erklärt Schulz. Das heißt, dass die lütte Flaumkugel nicht im Innern eines Brutkastens durch ihre Eierschale brach, sondern im elterlichen Nest, getarnt hinter Büschen in der Ecke des Geheges. Normalerweise bauen Mandschurenkraniche ihre Nester in relativ tiefem Wasser inmitten von Schilf. So sind sie gut vor Feinden geschützt. Im Hamburger Tierpark haben die großen Vögel vor ihren Mitbewohnern, den Muntjaks (einer kleinen, asiatischen Hirschart) allerdings nichts zu befürchten.

Mandschurenkraniche, die manchmal auch Rotkronenkraniche genannt werden, sind in Ostasien beheimatet. Sie gehören mit einer geschätzten Gesamtpopulation von 2400 Tieren zu den am stärksten bedrohten Arten in der Familie der Kraniche. Das hat zum einen mit der expandierenden Landwirtschaft in ihrem Lebensraum zu tun, denn anders als andere Kraniche halten sich Mandschurenkraniche von Feldern fern und fast ausschließlich in Wassernähe auf. Zum anderen wurden sie eine Zeit lang in Japan bejagt.

Mandschurenkraniche sind nicht nur sehr groß, sondern auch sehr wehrhaft

Dabei sind sie eine äußerst imposante Erscheinung: Mit einer Höhe von 1,50 Metern und einer Flügelspannweite von bis zu 2,50 Metern muss man sich vor ihnen durchaus in Acht nehmen, sagt Schulz: "Die Vögel können recht aggressiv werden, und wenn sie nach einem picken, tut das schon weh." Und wie es sich für echte Asiaten gehört, beherrschen sie auch noch eine weitere Kampfkunst: "Sie springen einen an, mit den Krallen voran", sagt Schulz. Tsúrus Eltern seien da eine "sehr umgängliche Ausnahme". Doch damit es gar nicht erst zu einer Auseinandersetzung kommt, halten Mensch und Tier, besonders jetzt, wo der Nachwuchs da ist, gebührend Abstand voneinander.

Dennoch fühlt sich Schulz gerade ein wenig von Kranichen umzingelt, sagt er und lacht: "Wir wohnen etwas außerhalb, an der Alsterquelle, und da höre ich zurzeit die wilden Kraniche rufen." Kaum ist er frühmorgens dann im Tierpark, geht es mit Kranichen weiter. Doch was will ein Vogelpfleger mehr? "Die Mandschurenkraniche sind einfach wunderschön", sagt Schulz. Und er hat recht: Das weiße Gefieder mit den grauen und schwarzen Partien wirkt äußerst elegant, die leuchtend rote Krone setzt einen besonderen Akzent. Tsúru muss allerdings noch eine Mauser abwarten, bis er sein braunes Jugendkleid gegen das der Erwachsenen eintauscht.

Fressen tut er jetzt schon wie ein Alter, verrät sein Tierpfleger: "Als Nestflüchter musste er gleich mit Mama und Papa durchs Gehege, und die haben ihm alles vor den Schnabel gelegt, was er fressen soll. Das war äußerst spannend zu beobachten." Kleine Fische wie Stinte, Würmer und Insekten stehen bei den Mandschurenkranichen auf dem Speiseplan, dazu Sämereien. Ihr langer Schnabel ist besonders auf die Jagd im und am Wasser angepasst.

Damit Tsúru zur Arterhaltung beiträgt, guckt sich Hagenbeck jetzt schon nach einer neuen Unterbringung für ihn um. Damit auch er den imposanten Balztanz seiner Art zeigen kann - und sich dabei nicht mit dem eigenen Vater ins Gehege kommt.

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