Thomas S. soll seine zwei Nichten in Krailling heimtückisch ermordet haben. Ermittler vermuten Missgunst als Hintergrund der Gräueltat.

Peissenberg/Krailling. Am Haus von Thomas S. im oberbayerischen Peißenberg sind die Rollläden heruntergelassen. An der Tür klebt das kleine Verschlusssiegel der Kripo. Eine Nachbarin von gegenüber sagt: "Dass hier nicht alles im Lot war, konnten alle sehen."

Der Vater von vier Kindern, 50, soll im 55 Kilometer entfernten Krailling die beiden Töchter seiner Schwägerin Anette S. getötet haben. Am Freitagabend, wenige Stunden nach der Beisetzung der Schwestern Chiara, 8, und Sharon, 11, wurde deren Onkel unter "dringendem Tatverdacht" verhaftet, am Sonnabend erging offiziell Haftbefehl.

Der Mann, von Beruf Postzusteller, soll die beiden Mädchen in der Nacht zum 24. März heimtückisch mit einem Messer und einer Hantel in ihrem Zuhause ermordet haben, während ihre Mutter wenige Schritte entfernt in einer Kneipe arbeitete.

Die Wohnungstür war von Anette S. an diesem Abend wie immer, wenn sie arbeiten ging und die Kinder zu Hause blieben, nicht abgesperrt worden - Chiara und Sharon sollten im Brandfall fliehen können. Als die Mutter frühmorgens heimkehrte, fand sie ihre Töchter leblos vor. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.

Der dringend Tatverdächtige schweigt, aber die Ermittler sehen ihn durch einen genetischen Fingerabdruck überführt. Bei dem Verbrechen soll sich der mögliche Täter offenbar verletzt und eine Blutspur hinterlassen haben, deren DNS mit der von Thomas S. übereinstimmte. Zudem habe sich der 50-Jährige bei ersten Vernehmungen in Widersprüche verstrickt. Er habe "keine Reue" gezeigt, dabei "distanziert" und "emotionslos" gewirkt, sagte Markus Kraus, Leiter der Mordkommission. Die Münchner Staatsanwältin Andrea Titz fügte hinzu, sie gehe davon aus, "dass er die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit der Opfer ausgenutzt hat". Heimtücke nannte die Staatsanwältin als besonderes Merkmal der Tat. Über das Tatmotiv wird in Peißenberg, Krailling und München gleichermaßen gerätselt. "Wir sind Puzzlezusammensteller", sagte ein Polizeisprecher gestern.

Anwohner berichten, vor einem Jahr sei der Mann mit seiner Frau und den vier Kindern im Alter von sechs bis 15 Jahren in das Fertighaus im Neubaugebiet eingezogen. Die Familie habe sehr zurückgezogen gelebt. Der Anblick des Grundstücks gleicht bis heute einer Baustelle: An der Tür ragen Eisenstreben heraus, der Garten ist nicht angelegt, die Garagentüren sind mit Sperrholz zugenagelt. "So sieht es hier seit dem Einzug aus", sagt ein Nachbar. Für ihn war der Mann immer ein "Phantom", das er kaum zu Gesicht bekommen habe. Thomas S. genoss in Peißenberg demnach keinen guten Ruf. Direkte Nachbarn bezeichnen ihn als unangenehmen Menschen, viele Kinder hätten Angst vor ihm gehabt. Einer Nachbarin fiel auf, dass der Vater "rabiat mit den Kindern umging". Man habe einen der Söhne einmal mit einem blauen Auge gesehen. Ein Kind soll vom Vater die Treppe hinuntergestoßen worden sein.

Thomas S., der im Raum Starnberg arbeitete, hatte sich wohl beim Hausbau übernommen. Er brauchte dringend Geld. Um aus der Finanznot zu kommen, wollte er eine Wohnung aus dem Erbe seiner Frau verkaufen, heißt es in Zeitungsberichten. Darüber soll er oft mit Anette S. gestritten haben. Am Ende habe seine Schwägerin dem Verkauf der Wohnung zugestimmt und 50 000 Euro an Thomas S. ausbezahlt.

Im Dorf hatten sie indessen Mitleid mit der Familie: Das Haus wurde nach einem Spendenaufruf der Gemeinde und im regionalen Radio fertiggestellt. Örtliche Firmen und die Feuerwehr halfen mit: "Wir waren damals mit etwa zehn Mann dort", erinnert sich ein Peißenberger Feuerwehrmann. An einem Tag deckten die Feuerwehrleute dann das Dach ein.

Hintergrund der Aktion war eine Erkrankung des zehnjährigen Sohnes, dem im Herbst 2009 in Regensburg eine Leber transplantiert werden musste. Zudem war die Mutter Ursula S. an Krebs erkrankt. Anwohnern zufolge habe Thomas S. seiner Schwägerin ihr vermeintlich sorgenfreies Leben mit den gesunden Töchtern missgönnt.

Der Schreck wegen des massiven SEK-Einsatzes am Freitagnachmittag, als Thomas S. vor seinem Haus festgenommen und abgeführt wurde, steckt den Anwohnern noch in den Knochen. "Das ist schon schlimm, dass so etwas hier ganz in der Nähe passiert", sagt eine Mutter von drei Kindern.

Möglicherweise wollte der Tatverdächtige mit seinem Frust die Mutter treffen, meinen Kriminologen. "Geld oder zurückgewiesene Liebe sind die beiden großen Hasserzeuger", sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer. "Wenn dann noch eine Verrohung, meist in der eigenen Kindheit begründet, hinzukommt, kann es zu einer tödlichen Eskalation kommen. Erbstreitigkeiten und verschmähte Liebe sind die häufigsten Motive bei Tötungsdelikten", erläuterte Pfeiffer.

"Manche Täter verletzen nicht das Ziel ihres Hasses unmittelbar, sondern deren Liebste. Sie glauben, dass sie sie so noch mehr treffen", sagte der Wiesbadener Kriminologe Prof. Rudolf Egg. Überraschend sei allerdings die Vorgehensweise. "Das war fast bestialisch."

Laut Pfeiffer könnte der Mörder es als perfekte Rache betrachtet haben, einer Mutter das Liebste zu nehmen. Hinzu komme, dass die Kleinen sich nicht so stark wehren können wie Erwachsene. "Menschen, die sich als Verlierer sehen, die immer wieder Pech im Leben hatten, haben eine wesentlich geringere Frustrationsgrenze als andere und entwickeln starke Neidgefühle", so Pfeiffer.

Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst zufolge könne die Gemeinde zur Normalität zurückfinden, falls es sich bei Thomas S. um den Mörder handele. Ein Nachbar der Opfer ist dagegen skeptisch: "Er hat noch nicht gestanden. Schwarz auf weiß ist da noch nichts." Bei der Beisetzung von Sharon und Chiara war der Tatverdächtige selbst nicht anwesend. Seine Frau - sie soll auch die Patentante der getöteten Mädchen sein - hielt nach einem Zeitungsbericht während der Trauerfeier aber eine bewegende Rede.