Zwei Mädchen werden in Krailling heimtückisch ermordet. Dann wird der Onkel der Mädchen als mutmaßlicher Täter in Peißenberg gefasst.

Krailling/Peißenberg. Die Türen sind von der Polizei versiegelt, die Jalousien und Vorhänge an dem rosafarbenen Haus im ruhigen Neubaugebiet von Peißenberg geschlossen. Hier wohnt der mutmaßliche Mörder der beiden im oberbayerischen Krailling getöteten Mädchen Sharon (11) und Chiara (8). Er ist ihr Onkel. Der 50-Jährige wurde am Freitagabend – nur wenige Stunden nach der Beisetzung der Mädchen – von der Polizei als dringend tatverdächtig festgenommen. Gestanden hat der Familienvater, der selbst vier Kinder haben soll, nicht. Auch über das Motiv rätseln die Ermittler. „Wir sind Puzzlezusammensteller“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag.

Der Medienberichten zufolge als Postbote arbeitende Mann hatte in Peißenberg keinen besonders guten Ruf. Direkte Nachbarn bezeichnen ihn als unangenehmen Menschen, viele Kinder hätten Angst vor ihm gehabt. Auf der Straße vor dem Haus ist nicht viel los. Nur gelegentlich kommen Kinder vorbei. Drei junge Frauen in einem Kleinwagen sind extra gekommen, um das Haus zu sehen. Anwohner erzählen, der Mann habe nicht in Peißenberg gearbeitet, sondern in einem Nachbarort. Das Grundstück sei seit längerer Zeit eine Baustelle, weil dem Bauherrn das Geld ausgegangen sei, erzählt der Mann, der im Haus gegenüber wohnt. Viele Freiwillige hätten der Familie beim Hausbau geholfen.

Persönlich kennen der Nachbar und seine Frau den 50-Jährigen nicht. Das Ehepaar habe sehr zurückgezogen gelebt. Man kenne ihn nur vom Sehen. „Und wenn Du Glück hattest, hat er zurückgegrüßt.“ Nur die Kinder hätten häufig draußen zusammen gespielt. Die „Bild am Sonntag“ zitiert einen Bauunternehmer, der der Familie unter die Arme gegriffen haben soll. „Ich kann es nicht fassen“, sagt er der Zeitung. Jahrelang habe er dem Mann geholfen. „Und nun soll er ein Mörder sein? Ich bin unglaublich enttäuscht.“

Die Familie des 50-Jährigen soll in Geldnöten gesteckt haben. Einem Sohn, der in etwa so alt sein soll wie die getötete Sharon, musste eine Leber transplantiert werden, die Frau soll an Krebs leiden. Mit der Mutter der getöteten Mädchen, seiner Schwägerin, soll der Mann nach Medieninformationen um Geld gestritten haben. Es sei dabei um Nachforderungen aus einem gemeinsamen Erbe gegangen. Die Polizei bestätigte diese Information bisher nicht. Auch Gerüchte über Gewalt gegenüber seinen Kinder machen unter den Nachbarn die Runde. Man habe einen der Söhne einmal mit einem blauen Auge gesehen. Der Vater soll ein Kind die Treppe hinuntergestoßen haben. In Krailling, dem Heimatort der getöteten Mädchen, macht sich dagegen Erleichterung breit. Die Polizei sprach am Sonntag von einer „spürbaren Entlastung“ in dem Münchner Vorort. Immer wieder legen Passanten am Wochenende Blumen vor dem Haus nieder, in dem das Verbrechen geschah. „Die Stimmung war ziemlich düster nach dem schrecklichen Ereignis“, erzählt die Inhaberin eines Zeitungskiosks. „Die Leute hatten Angst, ihre Kinder nach draußen zu lassen. Vor allem, wer selbst Kinder hat, war verunsichert. Der Täter hätte ja von hier sein können.“

Was genau in der Nacht auf den 24. März im ersten Stock des Hauses in der Kraillinger Margaretenstraße geschehen ist, können die Ermittler auch zehn Tage nach dem Verbrechen nicht sagen. Ein Geständnis hat der 50-Jährige bislang nicht abgelegt. Er wurde jedoch zweimal von den Ermittlern vernommen und verstrickte sich dabei in Widersprüche darüber, wo er zur Tatzeit war. Bei der Beisetzung der Mädchen am Freitag in Gräfelfing bei München war der Mann nach Angaben der Polizei nicht dabei. Seine Frau - sie soll auch die Patentante der getöteten Mädchen sein – hielt nach Informationen des „Münchner Merkur“ aber eine bewegende Rede bei der Trauerfeier.

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Auf einer Pressekonferenz in München hatte Oberstaatsanwältin Andrea Titz zuvor angekündigt, Haftbefehl gegen den Mann aus dem Umfeld von Chiara und Sharon zu beantragen. „Das Mordmerkmal ist Heimtücke“, sagte Titz. Der Mann habe die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit der beiden Mädchen ausgenutzt.

Nach Medien-Berichten soll der Mann ein Onkel der getöteten Kinder sein. Er habe sich mit seiner Schwägerin – der Mutter der Mädchen - um Geld gestritten. Der Postbote sei selbst Vater von vier Kindern. Der Tatablauf sei noch nicht gänzlich geklärt, sagte der Leiter der Mordkommission Markus Kraus. Der Verdächtige sei gegen 17 Uhr am Freitag widerstandlos vor seiner Wohnung in Peißenberg festgenommen worden.

Nach Angaben von Kraus gibt es noch keine „konkrete Motivlage“. Der Mann sei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, sagte Titz. Die Mutter der getöteten Kinder sei nach der Festnahme informiert worden.

Der mutmaßliche Mörder hat die Tatvorwürfe bestritten. Der 50-Jährige habe „kein Geständnis abgelegt“, sagte Kraus. Zwischen einer ersten und zweiten Vernehmung habe es Widersprüche gegeben. Der Tatverdächtige habe einen „eher distanzierten und desinteressierten Eindruck“ gemacht.

Die Staatsanwaltschaft will noch am Sonnabend Haftbefehl wegen zweifachen Mordes gegen den Mann beantragen. Aufgrund der Spurenlage sei davon auszugehen, „dass der Beschuldigte dringend tatverdächtig ist“, sagte die Staatsanwältin Titz.

Die elf Jahre alte Sharon und ihre acht Jahre alte Schwester Chiara waren in der Nacht zum 24. März in ihren Kinderzimmern ermordet worden. Die Mutter hatte die leblosen Kinder entdeckt, als sie von der Arbeit in einer Gaststätte nach Hause kam. Der Verdächtige habe Zugang zur Wohnung gehabt, weil die Wohnung nicht verschlossen gewesen sei, sagte Titz. In der Wohnung war DNA sichergestellt worden. Die Rechtsmedizin der Universität München habe am Freitagmittag einen Treffer beim Abgleich gemeldet, sagte Kraus. Der Verdächtige hatte zuvor freiwillig eine Speichelprobe abgegeben. Insgesamt waren von 91 Vergleichspersonen DNA-Proben genommen worden. Zudem gingen 141 Hinweise aus der Bevölkerung ein.

Der Täter muss sich nach Erkenntnissen der Polizei eine Verletzung zugezogen haben. Der 50-Jährige sei verletzt; über Details wollte Kraus jedoch keine Angaben machen. Bei der Tat sei ein gefundenes Messer verwendet worden und wohl auch eine Hantel. Der Beschuldigte habe beim Verhör einen eher distanzierten Eindruck gemacht. Bei zwei Vernehmungen habe er unterschiedliche Aussagen gemacht, wo er sich zur Tatzeit aufgehalten habe.

Die Kinder des Verdächtigen seien inzwischen in die Obhut des Jugendamts gebracht worden, sagte Kraus. Die Frau des 50-Jährigen sei vernommen worden, zum Inhalt ihrer Aussage wollte Kraus keine Auskunft geben. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Tatverdächtige nicht bei der Trauerfeier am Freitag war.

(dpa/abendblatt.de)