Im letzten Länderspiel des Jahres besiegt die deutsche Nationalmannschaft die Niederlande mit 3:0 und begeistert mit Offensivfußball.

Hamburg. Die Fernsehzuschauer sind bereits im EM-Fieber. 12,83 Millionen Fußball-Fans verfolgten am Dienstagabend den 3:0-Sieg der deutschen Nationalelf gegen den Erzrivalen Niederlande im TV. Laut übertragendem Sender ZDF entspricht dies einem Marktanteil von 39,4 Prozent. Nach Angaben des Mainzer Senders haben seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr so viele Fernsehzuschauer ein Testspiel der deutschen Elf gesehen. Im März 2006 hatte das Spiel gegen die USA 13,39 Millionen Zuschauer angelockt. Allerdings waren bei Pflichtspielen Deutschlands seitdem bereits mehr Fußball-Begeisterte vor dem Bildschirm versammelt. Etwa beim EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei vor gut einem Jahr, als 15,14 Millionen zuschauten.

Lesen Sie dazu auch:

Spielrausch im Schlussakt

Schon nach 29 Minuten hielten es die anfänglich noch zurückhaltenden Fans auf den Rängen nicht mehr aus. Die Freude musste einfach raus. Minutenlang kreiste die "La Ola" durch das HSV-Stadion, "Deutschland"-Rufe erschallten. Es war aber auch eine ungewohnte Situation für das begeisterte Publikum: Die Heim-Mannschaft führte! Dieses Gefühl kennen viele Hamburger nicht mehr.

Es war aber nicht nur das zwischenzeitliche Ergebnis von 2:0 (Ende 3:0), das die Zuschauer bereits in der ersten Halbzeit jubeln ließ. Mit welcher Spielfreude die deutsche Nationalmannschaft die Niederlande durcheinanderwirbelte, beeindruckte. So geriet der letzte Akt eines überaus erfolgreichen Länderspieljahres zu einer Demonstration der Stärke. "Wir haben das Potenzial, einen großen Titel zu gewinnen. Das haben wir heute wieder gezeigt", sagte Spielmacher Mesut Özil. Und noch eine Vorgabe wurde nebenbei erfüllt: Erstmals seit 2004 (5:1 in Thailand) konnte die DFB-Auswahl einen Jahresabschluss erfolgreich gestalten.

Im 75. Länderspiel seit seiner Amtsübernahme 2006 stellte Bundestrainer Joachim Löw wieder auf das gewohnte 4-2-3-1-System um mit Miroslav Klose als einziger Spitze. Der Wahl-Römer war nach drei Spielen Pause wegen einer Sehnenentzündnung im Knie wieder dabei und bewies ein weiteres Mal, warum der Bundestrainer auf den 33-Jährigen setzt, obwohl mit Mario Gomez ein Torjäger in Topform zur Verfügung steht. Ein Luxusproblem.

Nach einer viertelstündigen Abtastphase, in der vor allem die ruppige Spielart der Niederländer auffiel, war es Klose, der nach einer Kroos-Flanke auf Thomas Müller auflegte und dieser aus zwölf Metern die Führung erzielte (15.). Ein Spielzug wie im Lehrbuch, der die Akteure des Weltranglistenzweiten wie Schuljungen aussehen ließ. Wunderbar herausgespielt war auch das zweite deutsche Tor: Diesmal passte der überragende Müller auf Mesut Özil, der mit seinem schwachen (rechten) Fuß maßgerecht auf Klose flankte. Das Ergebnis war sein 63. Treffer per Kopf im 113. Länderspiel - nur noch fünf Treffer fehlen dem Nationalstürmer bis zum Rekord von Gerd Müller. Die klare Führung bewirkte aber kein Zurücklehnen im deutschen Team, im Gegenteil. Bis zur Halbzeit spielte sich die DFB-Elf in einen regelrechten Rausch. Obgleich die kleinen Schönheitsfehler nicht verschwiegen werden dürfen wie beispielsweise die Durchlässigkeit der Defensive auf der rechten Seite (Jerome Boateng). Auch Lukas Podolski muss weiter die Konkurrenz fürchten (André Schürrle, der wegen eines grippalen Infekts pausierte, und Mario Götze).

***Portugiesen, Tschechen, Kroaten und Iren jubeln***

***Trotz Kritik soll das Experiment Dreierkette wiederholt werden***

***Bierhoff: "Wir brauchen niemanden, der rumbrüllt"***

Erfreulich auch: Wer glaubte, die Nationalelf würde im zweiten Durchgang zwei Gänge zurückschalten und sich für kommende Aufgaben schonen, sah sich getäuscht. Während die insgesamt maßlos enttäuschenden Niederländer nur wenige lichte Momente hatten, sorgten die Deutschen weiter für fußballerische Leckerbissen - wie das wunderbar herausgespielte 3:0 von Özil nach einer Kombination mit Klose (66.). "Oh, wie ist das schön", sangen die berauschten Fans, die längst mehr als entschädigt waren für das schwache Auftreten der Deutschen beim zuvor letzten DFB-Länderspiel in Hamburg 2009 (1:1 gegen Finnland). Und der Bundestrainer merkte süffisant an: "Wir haben mit viel Spielfreude und Leichtigkeit gespielt und kombiniert, womit die Holländer offenbar ein bisschen überfordert waren."

Natürlich war die Partie kein ganz reales Kräftemessen, da auf beiden Seiten einige Akteure fehlten: Weder Schweinsteiger und Lahm noch Robben oder van Persie standen auf dem Platz. Aber die Partie zeigte, was für ein Potenzial in dieser noch so jungen Mannschaft steckt, und nährt die Hoffnungen auf den ersten Titelgewinn seit 1996.

Löw kann sich beruhigt in den Winterschlaf zurückziehen - das nächste Spiel steht erst wieder am 29. Februar gegen Frankreich in Bremen an - und in Ruhe der EM-Gruppenauslosung in Kiew am 2. Dezember entgehensehen. Dort drohen dem ungesetzten Deutschland zwar schwere Gegner. Aber wer traut Löws Team nach diesen vielen gelungenen Auftritten nicht zu, auch in einer Gruppe mit Spanien, Frankreich und Schweden problemlos weiterzukommen? Eben. Niemand.

Deutschland: Neuer - Boateng (65. Höwedes), Mertesacker, Badstuber (46. Hummels), Aogo - Khedira (88. L. Bender), Kroos (82. Rolfes) - Müller, Özil, Podolski (65. Götze) - Klose (82. Reus).

Niederlande: Stekelenburg - van der Weil, Heitinga, Mathijsen, Braafheid - van Bommel, Strootman (64. N. de Jong) - Kuyt (88. Wijnaldum), Sneijder (87. L. de Jong), Babel - Huntelaar (76. Beerens).

Tore: 1:0 Müller (15.), 2:0 Klose (26.), 3:0 Özil (66.). Zuschauer: 51 500 (ausverkauft). Schiedsrichter: Cakir (Türkei). Gelb: Klose - Sneijder.