Weltklasseleistung beim 3:0 gegen die Niederlande – „Für die EM bringt das nichts“

Hamburg. Joachim Löw argumentierte antizyklisch. Als die Zuschauer im Stadion in Hamburg voller Begeisterung über das rauschende Fußball-Fest sprachen, setzte der Bundestrainer ein nachdenkliches Gesicht auf. Seine Nachspiel-Taktik lautete: Euphorie bremsen, Erwartungen dämpfen. Die bei der 3:0 (2:0)-Gala gegen die Niederlande gezeigte Frühform könne die deutsche Nationalmannschaft bis zur Europameisterschaft kaum halten, sagte Löw. „Die Zeit ist noch sehr lang“, erklärte der 51-Jährige.

Am liebsten würde er den 8. Juni mit dem EM-Start herbeizaubern. „Wenn wir morgen in die EM gehen würden, wäre ich froh“, sagte er. Den Sommer 2012 in die Adventszeit 2011 zu verlegen, ist aber auch für Löw, der dabei ist, die beste deutsche Mannschaft aller Zeiten zu formen, ein Ding der Unmöglichkeit. Ob seine Spieler das beim Fußball-Feuerwerk dargebotene Topniveau in ihren Vereinsmannschaften bis in den Mai durchziehen könnten, bezweifelte er. Allerdings hatte seine Tiefstapelei offenbar System. Das 3:3 in der Ukraine hatte Löw vier Tage zuvor intensiver gewürdigt als den Auftritt in Hamburg.

Dass seine Mannschaft zum Jahresabschluss eine Demonstration der Weltklasse gelungen war, räumte Löw ein. Der niederländische Bondscoach Bert van Marwijk adelte die deutsche Elf als einen Top-Favoriten für die EM und sprach von einer „peinlichen Vorstellung“ seines Teams, das allerdings ersatzgeschwächt kein Gegenmittel gefunden hatte. Dank der wunderbar besetzten Offensive spielte die Löw-Elf einen Fußball, der lange als Markenzeichen des Vize-Weltmeisters Niederlande galt.

Und das, obwohl die Leistungsträger Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger fehlten und Mario Götze sowie Mario Gomez nicht in der Startelf standen. In einer Partie, in der Miroslav Klose im fußballerischen Seniorenalter von 33 Jahren auftrumpfte wie zu allerbesten Zeiten. Löw war zufrieden: „Wir haben mit viel Spielfreude und Leichtigkeit gespielt und kombiniert. Damit waren die Holländer offenbar überfordert.“

Die deutschen Spieler waren etwas mehr beeindruckt als ihr Trainer von der Leistungsschau. „Die Niederländer hatten keine Chance“, sagte Mesut Özil. „Wir haben gezeigt, dass wir um den EM-Titel mitspielen können.“ Toni Kroos war überrascht: „Ich weiß nicht, ob man viel besser spielen kann.“ Löw hat demnächst ein Luxusproblem. Auf der linken Abwehrseite wird mit der Rückkehr von Lahm für Dennis Aogo ein weiterer Qualitätsschub erreicht.

Aber wer muss für Schweinsteiger im Mittelfeld weichen? Kann einer der Defensiv-Strategen wie Kroos, Sami Khedira oder Schweinsteiger vielleicht für die rechte äußere Abwehrseite umfunktioniert werden? Löw schätzt ungewöhnliche Lösungen, zumal er so einen Platz für einen seiner vielen Mittelfeldspieler gewinnt und sein System noch variabler werden könnte.

Die deutsche Mannschaft wird von der Konkurrenz immer mehr als absoluter Topfavorit wahrgenommen, auch weil Spanien und die Niederlande in Mini-Krisen geschlittert sind. Welt- und Europameister Spanien verlor am Freitag 0:1 in England und erreichte am Dienstag nur ein 2:2 in Costa Rica. Der Vize-Weltmeister Holland hat mit dem 2:3 in Schweden, dem 0.0 gegen die Schweiz und der Hamburger Abfuhr sogar seit drei Spielen nicht mehr gewonnen. „3:0 gegen Holland gewinnt nicht jeder“, betonte Özil. „Selbstbewusstsein und Selbstbestätigung“ könnten seine Spieler daraus ziehen, sagte Löw, als drei Monate nach dem 3:2 gegen Brasilien wieder eine Weltmacht mit perfektem Fußball bezwungen war.

Auch das soziale Klima im Team ist optimal. Jeder ist stolz, ein Teil der Mannschaft zu sein. „Das war eine Klasseleistung. Es ist eine Freude zu sehen, wie die Mannschaft Fußball spielt“, sagte Manuel Neuer. „Wir haben sehr, sehr gut gespielt. Das war ein Ausrufezeichen, aber bis zur EM ist es noch lang“, erklärte Holger Badstuber. Die skeptische Haltung, die Löw ausgedrückt hatte, nahm Mats Hummels am ehesten auf: „Das war ein wunderschöner Jahresabschluss. Wir haben gezeigt, dass wir eine herausragende Mannschaft haben. Aber für die EM bringt uns das alles nichts.“

Die Lostöpfe für die Auslosung der vier EURO-Vorrundengruppen am 2. Dezember (18.00 Uhr MEZ) in Kiew:

Topf 1: Polen, Ukraine, Spanien, Niederlande

Topf 2: Deutschland, England, Italien, Russland

Topf 3: Dänemark, Griechenland, Schweden, Kroatien

Topf 4: Portugal, Frankreich, Irland, Tschechien

Die Statistik

Deutschland: Neuer/Bayern München (25 Jahre/25 Länderspiele) - Boateng/Bayern München (23/19) ab 65. Höwedes/Schalke 04 (23/6), Mertesacker/FC Arsenal (27/79), Badstuber/Bayern München (22/18) ab 46. Hummels/Borussia Dortmund (22/12), Aogo/Hamburger SV (24/9) - Kroos/Bayern München (21/24) ab 82. Rolfes/Bayer Leverkusen (29/26), Khedira/Real Madrid (24/24) ab 88. Lars Bender/Bayer Leverkusen (22/3) - Müller/Bayern München (22/25), Özil/Real Madrid (23/30), Podolski (26/95) ab 65. Götze/Borussia Dortmund (19/12) - Klose/Lazio Rom (33/113) ab 81. Reus/Borussia Mönchengladbach (22/3). - Trainer: Löw

Niederlande: Stekelenburg/AS Rom (29/44) - van der Wiel/Ajax Amsterdam (23/29), Heitinga/FC Everton (28/74), Mathijsen/FC Malaga (31/78), Braafheid/1899 Hoffenheim (28/10) - van Bommel/AC Mailand (34/73), Strootman/PSV Eindhoven (21/10) ab 64. Nigel de Jong/Manchester City (26/56) - Kuyt/FC Liverpool (31/84) ab 87. Wijnaldum/PSV Eindhoven (21/2), Sneijder/Inter Mailand (27/80) ab 87. Luuk de Jong/Twente Enschede (21/6), 11 Babel/1899 Hoffenheim (24/42) - 9 Huntelaar/Schalke 04 (28/49) ab 76. Beerens/AZ Alkmaar (23/2). - Trainer: van Marwijk

Schiedsrichter: Cüneyt Cakir (Türkei)

Tore: 1:0 Müller (15.), 2:0 Klose (25), 3:0 Özil (66.)

Zuschauer: 51.500 (ausverkauft)

Beste Spieler: Klose, Özil, Müller, Kroos - Babel, Sneijder

Gelbe Karten: Klose - Sneijder

Torschüsse: 15:10

Ecken: 2:3

Ballbesitz: 50:50 Prozent

Fouls: 12:13