Bucerius Kunst Forum: Erstmalig wird Oskar Kokoschka als Zeichner umfassend präsentiert. Mehr als 200 Arbeiten geben einen Einblick in Kokoschkas fast 70jährige zeichnerische Entwicklung

Oskar Kokoschka hat zeitlebens gezeichnet - manchmal mit Pausen, um sich zeitweise wieder ausschließlich der Malerei zuzuwenden, manchmal über längere Zeiträume hinweg, im fortgeschrittenen Alter immer intensiver. Es gibt nicht viele Maler der Moderne, in deren Werk die farbige Zeichnung einen so hohen Stellenwert hatte wie bei Kokoschka. Um so erstaunlicher ist es, daß das zeichnerische Werk dieses Künstlers bisher noch nie in einer alle sieben schöpferischen Jahrzehnte umfassenden Retrospektive präsentiert worden ist.

Das Bucerius Kunst Forum füllt jetzt diese Lücke und stellt in seiner Ausstellung "Oskar Kokoschka. Erlebnis des Augen-Blicks" fast 200 bildhafte Aquarelle und Farbstiftzeichnungen aus allen Schaffensperioden in einer umfassenden Retrospektive vor.

Die frühesten Blätter stammen von 1905, die spätesten von 1972. Die Schau ist nicht chronologisch gegliedert, sondern nach acht Themengruppen zusammengestellt, die auf Kokoschkas eigene Formulierungen zurückgehen: "Schule des Sehens" (Akte und Figuren, 1905-53), "Glück ist anders" (Kokoschka und Alma Mahler, 1912- 1970), "Ich male Porträts, weil ich es kann" (Bildnisse, 1911-1976), "Erlebnisse wie in einem Tagebuch (Reiseskizzen, 1939-1976), "Meine geistigen Ahnen" (Kokoschkas Wahlverwandte, 1920-1972), "Meine Auffassung von Bühnenbildnerei" (Entwürfe für das Theater, 1962-1974), "Ecce homines" (Kokoschkas Verständnis der Kreuzigung" und "Spur im Treibsand" (Zauber und Dauer des Augenblicks).

Die Themen machen schon deutlich, wie breit das Spektrum der Motive ist. So zeigen die Blätter zum Beispiel Porträts bekannter Persönlichkeiten wie Ezra Pound, Swjatoslav Richter oder Hugo Erfurth oder Landschaften und Städte, die Kokoschka auf Reisen kennenlernte.

Hinsichtlich ihrer Farbigkeit kommt den Dresdner Aquarellen, die in den Jahren 1919 bis 1923 entstanden sind, ein besonderer Rang zu. Danach hat Kokoschka fast zwei Jahrzehnte lang keine Aquarelle mehr gemalt und erst Ende der dreißiger Jahre in England wieder damit begonnen.

Kunstwerke besonderer Art und fast intimen Charakters sind die berühmten Fächer und deren Entwürfe, die Kokoschka für Alma Maher schuf. Obwohl die Ausstellung keiner chronologischen Ordnung folgt, lassen sich die stilistischen Wandlungen gut nachvollziehen. Die frühen Zeichnungen sind noch erkennbar vom Wiener Jugendstil beeinflußt, bald darauf werden expressive Tendenzen sichtbar. Vor allem für das Spätwerk haben Skizzenbücher eine besondere Bedeutung. Sie boten Kokoschka die Möglichkeit, seine Eindrücke von Begegnungen und Beobachtungen schnell zu Papier zu bringen. Aber Spontaneität und Unmittelbarkeit sind ohnehin prägend für Kokoschkas zeichnerisches Werk.

Ausstellungskurator Prof. Heinz Spielmann, der scheidende künstlerische Leiter des Bucerius Kunst Forums, war ein persönlicher Freund von Kokoschka und ist Autor einer umfassenden Monographie. Über Kokoschkas Art zu zeichnen schreibt er: "Die Blätter des Künstlers entstanden fast stets spontan und in einem inspirierten Augenblick. Es entspricht dieser Spontaneität, daß Kokoschka sowohl in kurzen Abständen immer wieder zu Stiften und Aquarellpinsel griff, aber auch, daß er lange Zeit darauf verzichtete und sich auf Gemälde konzentrierte: Er folgte damit keinem Programm oder anderen Ideen, nur einem unmittelbaren Impetus." An späterer Stelle fügt Spielmann hinzu: "Um so deutlicher spiegelt sich in Kokoschas zeichnerischem Werk die Reaktion auf den Augen-Blick im genauen Wortsinn, das spontane Erfassen der Welt mit dem Auge."

  • Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, bis 5.2.2006, tgl. 11-19 Uhr geöffnet, am 24.12. geschlossen, Katalog 19,90 Euro.