Pilotengewerkschaft kritisiert “juristische Winkelkonstruktion“. Verkehrsminister: Würde auch selber an Bord gehen.

Berlin. Es geht wieder was im deutschen Flugverkehr. Bereits Montagnacht starteten die ersten und oft bis auf den letzten Platz besetzten Maschinen von Mallorca, Gran Canaria oder Fuerteventura nach Berlin, Düsseldorf oder Köln. Überall sammeln die Reiseveranstalter Urlauber vor den Hotels ein, Tausende werden in Bussen zu den Flughäfen und dann per "Sichtflug" in die Heimat gebracht.

Doch anders als über Großbritannien, das gestern Abend das Flugverbot aufhob, gilt über Deutschland weiterhin der Ausnahmezustand. Der Grund: Die Deutsche Flugsicherung will keine Verantwortung für diese Sichtflüge übernehmen, da diese weiterhin durch Luftschichten mit möglicherweise gefährlicher Vulkanasche führten. Der Unterschied zu dem sonst üblichen Verfahren liege im Wesentlichen nur in der Verantwortung, die dann nicht bei der Flugsicherung liege, sagte der Sprecher der Flugsicherung, Axel Raab. Er widersprach damit Berichten, wonach die Piloten ihre Maschinen derzeit unterhalb der Aschewolke in etwa 3000 Metern manövrieren. Gestern erwartete die Flugsicherung rund 700 bis 800 Flüge statt der sonst üblichen 10 000.

Gesellschaften wie Air Berlin, Condor oder TUI beriefen sich auf am Montag erteilte Sondergenehmigungen des Luftfahrtbundesamtes, während die Flugsicherung auf neue kritische Daten des Wetterdienstes verwies und ihre allgemeinen Luftraumsperrungen bis zunächst 2 Uhr heute morgen verlängerte. Bis dahin war kein Lotse für die Führung von Flugzeugen im unteren Luftraum verantwortlich, die Piloten bewegten die Maschinen sozusagen auf eigene Gefahr. Die verantwortlichen Fluggesellschaften beeindruckt das wenig. "Schon bei den Überführungsflügen am Sonnabend sind die Maschinen zum Teil bis 8000 Meter aufgestiegen und in Bereiche geflogen, in denen die Aschewolke nach den Simulationsberechnungen vermutet wurde", sagte ein Lufthansa-Sprecher. Dabei seien keinerlei Schäden an den Triebwerken festgestellt worden, ebenso nach den jüngsten Flügen am Montag und Dienstag. Die Airlines holten sich zusätzlich noch eine Sondergenehmigung des Luftfahrtbundesamtes, weil in normalen Zeiten gewerbliche Passagierflüge mit Maschinen von mehr als 14 Tonnen Gewicht überhaupt nicht nach Sichtflugregeln starten dürfen. Allein die Lufthansa wollte so gestern 200 Flüge absolvieren.

Konkret ändert sich durch die Sichtflugregeln für die Piloten nicht viel. Sie starten wie gewohnt an den großen Verkehrsflughäfen. Bis in einer Höhe von rund 6000 Metern, die in etwa zehn Minuten erreicht werden, achten sie selbst auf den Verkehr und umfliegen alle Wolken. Da derzeit ohnehin nicht viele Maschinen unterwegs sind, gilt das als sicher - solange keine Aschepartikel in die Quere kommen. Ab einer Flughöhe von rund 6000 Metern übernehmen dann wieder wie gewohnt die Fluglotsen die Führung der Maschinen.

Doch unter den Piloten regt sich Widerstand. "Man hat nur eine juristische Winkelkonstruktion gesucht, um die Flugzeuge in die Luft zu bringen", hieß es bei der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. An der wissenschaftlichen Einschätzung der Gefährlichkeit der Aschewolken habe sich nichts geändert. Ein Sprecher der Flugsicherung sicherte den Piloten trotz der juristisch schwierigen Lage Unterstützung der Fluglotsen zu: "Die Fluglotsen lassen die Maschinen nicht ins offene Messer fliegen."

Unterdessen verteidigte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die international verabredete "Sichtflug"-Praxis. Sicherheit sei nach den allgemeinen Regeln auch hier oberstes Gebot, sagte er nach Beratungen im Verkehrsausschuss des Bundestages. "Ich werde nicht verantworten, was ich nicht selbst als Passagier machen würde."

Der Minister kündigte für einen späteren Zeitpunkt die Einrichtung eines runden Tisches der Beteiligten an, um aus dem Krisenmanagement zu lernen.

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Uwe Beckmeyer, nannte das Management "katastrophal". Es sei falsch, dass Ramsauer nicht selbst den Krisenstab mit Flugsicherung und Wetterdienst geleitet habe. "Ich erwarte, dass sich der Verkehrsminister an die Spitze des Krisenstabes stellt."

Der Grünen-Politiker und Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestags, Winfried Hermann, kritisiert das Verhalten der Fluggesellschaften. Die Airlines hätten massiven Druck auf die Politik ausgeübt, um Ausnahmegenehmigungen zu erhalten, sagt er dem HR.