In den Phoenixhallen wird der Aktionskünstler Dieter Meier mit einer Werkschau geehrt. Bekannt wurde er mit der Musikgruppe “Yello“.

Was Dieter Meier an diesem Tag geritten haben mag, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Etwas in den Ausführungen seines Gastes, des feinsinnigen Autors Lukas Bärfuss muss ihn auf die Palme gebracht haben, denn er griff den eher sensibel wirkenden Poeten in seinem eigenen Nobelrestaurant "Zürichgasse" wüst und aggressiv an. Davon weiß anderntags die Schweizer Lokalzeitung ihre Leser zu informieren, ein Video im Netz hält den Moment für die Ewigkeit fest.

Doch vielleicht gilt hier die Sache mit der Allianz von Genie und Wahnsinn, von Exzentrik und Bohemientum, vielleicht ist Meier aber auch einfach mal wieder nur in eine andere Rolle geschlüpft, war alles eine berechnete Aktion zwischen Authentizität und Fingiertheit, Leben und Kunst im Gesamtkunstwerk "Leben" des Schweizer Dandys und Multikünstlers Dieter Meier.

Der Zürcher Künstler Dieter Meier, der den meisten besser als ein Part des Elektropop-Duos "Yello" bekannt ist, eröffnet also viele Fragen, und zum Glück gibt es auch ein paar filigrane, vom Scheitern bedrohte Wahrheiten: Extrem vielseitig ist er, begabt, mit einer Prise snobistischer Aura, die seine elegante Haartolle vermitteln mag oder das ewig elegante Gilet, das er trägt. Vielleicht liegt die Noblesse seiner Erscheinung aber auch in den stets ein wenig lauernden Augen begründet oder ist an dem Umstand zu erspüren, dass der Sohn aus reicher Familie stets eine gewisse Lässigkeit mit der Notwendigkeit des Geldverdienens haben durfte. Als kindlich verspielt hat er selbst oft seine Herangehensweise an Projekte bezeichnet.

In der Falckenberg-Sammlung in den Harburger Phoenixhallen ist der Musiker und Tausendsassa nun zu entdecken, gewinnt er durch seine Kunstwerke eine gewisse Physiognomie und Kontur. Hier enthüllt sich sogleich eine gewisse Theatralität, ein Hang zum Sich-Aussetzen. "Ich ist ein Anderer", der berühmte Satz scheint wie die Faust-aufs-Auge zu Dieter Meier zu passen. Denn Meier ist ein Rollenspieler - einer mit begnadetem poetischen Witz. Einer, der sich exponiert und andere "darstellt", wie er sagt. Einer, der seine "Visage als Leinwand" hergibt. In den Fotografien "As time goes by - 12 Biografien dargestellt von Dieter Meier" schlüpft er in die Rolle verschiedener Charaktere, deren Biografien er im Bild versinnlicht und in Worten einfängt. Treffsicher imitiert Meier Habitus und Physiognomie von Bessergestellten, Snobs, Dichtern, Musikern, Sportlern oder Kriminellen. Ein Bild zeigt den Porträtierten jeweils in den 70er-Jahren. Dieter Meier imitierte damals im Auftrag eines Museums, ein anderes 35 Jahre später mit einer fiktiven Biografie.

Dieter Meier also als Soziologie, der seinen Körper und sein Gesicht ausleiht, einer, der extrahiert, was sich wiederholt und den Einzelnen übersteigt. Die Bilder haben schlagenden Witz, denn der Beobachter erkennt in der Mimikry den Typus . Oder die Knetfiguren, die Meier herstellt und in aberwitzigen Situationen inszeniert und mit unendlich witziger Deklination beschreibt: "Albert J. Beverly, der sich unentdeckt dreimal selbst zum Witwer machte": vorne eine unförmige Knetklecksfrau im Bett, die das Zeitliche gesegnet hat und natürlich Albert als clever-krimineller Knetklecksmann. Ein verhinderter Autor, glaubt man. Dies sind Meiers spätere Werke.

Im Erdgeschoss der Phoenixhallen sind die frühen Arbeiten des Konzeptkünstlers zu sehen. Sie lassen sich in den Parametern "Situation" und "Ereignis" beschreiben, sind eher konzeptuell und nicht so lärmend schrill wie manch heutige Performancekunst. Wenn sie Grenzen überschreiten wollten, dann sehr subtil. Sie sind eher geduldig, zeitraubend und für den Künstler sicher ermüdend, denn sie gehen von einem exzessiven Hang zur Datierung aus.

Dokumentiert sind also die Kunst-Aktionen, die Meier in den 70er Jahren ersann und ausführte. Als penible Aktionsprotokolle: Etwa die Aktion, als Meier vor dem Kasseler Bahnhofsvorplatz im Rahmen der documenta V eine Platte im Boden einließ, auf der stand: "Am 23.März 1994 von 15 bis 18 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen. Kassel, 27. Juni 1972." Meier hielt Wort, wie ein Lokalzeitungsausschnitt vom 4.4.1994 dokumentiert, danach wurde die Platte entfernt: Das Kunstwerk war in der Situation aufgegangen und hatte seine Berechtigung verloren. Zwischen Inszenierung und authentischer Situation bewegen sich Meiers Arbeiten im öffentlichen Raum, die gleichwohl stets beamtenhaft protokollarisch vorgingen: Wer einen Teil Lebenszeit eingesetzt hatte, der bekam schon mal einen Stempel, ein Zertifikat oder sonst etwas recht Bürokratisches: Wie beispielsweise die Passanten, die eine Gangbestätigung erhielten, als sie auf einer von Dieter Meier markierten Strecke am 10. Juli 1970 zwischen 17 und 20 Uhr entlang schritten. Ein anderes Mal erteilt Meier Ausstellungsbesuchern per Stempeluhr am Eingang eine namentlich ausgewiesene Aufenthaltsbestätigung mit Anfang und ausgewiesenem Ende.

Wiederum ein anderes Mal postierte Meier sich am Eingang einer Vernissage, in der Hand einen Revolver, ansonsten Meier wie immer ernst und mit unbewegter Miene im korrekt sitzenden Anzug. Vor dem Künstler ein Schild auf dem Boden: "This man will not shoot", es sind Aktionen auf dem Grat und in der Grauzone zwischen Kunst und Leben, die auch schon mal ein wenig gefährlich ausfallen kann.

Wer dem oft nüchternem Hang zum Dokumentarischen der Aktionen im Erdgeschoss der Falckenberg-Sammlung in den Phoenixhallen folgt, der wird auch mit Videos und Musik belohnt: Das Video "Pinball Cha Cha", sehr elektronisch, sehr rhythmisch, läuft in Endlosschleife und lässt an die Gruppe "Kraftwerk" denken. Dandyhaft-anarchisch und stilsicher präsentiert Meier sich in den Musikvideos der Gruppe "Yello" wie dem legendären "Bostich"-Video, es sind Videos aus der Ära, als MTV noch ästhetisch und der Sound cool war. Die Titelmelodie zur "Formel Eins-Sendung", "The Race", stammt ebenfalls von Yello und ist natürlich zu erleben. Hier ist Meier als Soundmaler mit wahnsinnig-bahnbrechenden Clips zu erleben, die er teils selbst entwarf und die aus der biederen Schweiz heraus von einem wilderen Leben träumen ließen.

Die unter der Leitung der Hamburger Deichtorhallen in den Phoenixhallen auf die Beine gestellte Werkschau ist ein flirrendes, inspirierendes Zeit- und Gesamtkunstwerk zum Phänomen Dieter Meier mit sehr humorvollen Zügen. Herausgekommen ist eine Ausstellung, die Spaß macht und die Dieter Meier aus dem Schatten ins Licht rückt, auch wenn der Weltbürger, Bohemien, überzeugte Dilettant, Soundmaler und obsessive immer wieder Sich-Selbst-Neu-Erfinder morgen schon in ganz anderem Licht begegnen kann. Momentaufnahmen eben.

Dieter Meier: Works 1969-2011 And The Yello Years, bis 11. September, Sammlung Falckenberg, Wilstorfer Straße 71, Besuch nur nach Anmeldung unter besuch@sammlung-falckenberg.de