Die Bastei im Elbsandsteingebirge bietet in der Abendsonne ein grandioses Naturschauspiel. Doch erst Caspar David Friedrich machte das Gebirge so richtig berühmt. Den Blick seines “Wanderers über dem Nebelmeer“ versuchen heute Massen an Touristen selbst zu erleben.

Die letzten beiden Reisebusse verlassen gerade den Großparkplatz, und die meisten der Andenkenläden und Imbissbuden, die das restliche, ausschließlich zu Fuß zu bewältigende Stück des Weges zur Bastei säumen, werden jetzt geschlossen. Nur noch wenige Besucher stehen auf der Aussichtsplattform und schauen hinunter auf den Fluss und hinein in die Landschaft des Elbsandsteingebirges, das in dieser Stille seinen ganzen Zauber entfaltet. Vor ein oder zwei Stunden noch drängten sich zwischen dem Berghotel, dem Panoramarestaurant, den einzelnen mit Treppen verbundenen Aussichtspunkten und der steinernen Basteibrücke Tausende Touristen, die sich beim Fotografieren oft selbst im Wege standen. Jetzt aber kehrt Ruhe ein, die Sonne steht schon tief, sie taucht die steilen Felsnadeln, die einsamen Schluchten, den dunklen Wald und die bizarr geformten Berge in ein warmes, rötliches Abendlicht.

Wie Spielzeug wirken die Waggons des Euro-City, der tief unten am jenseitigen Ufer Richtung Prag rollt. Auf dem schmalen, leicht gewundenen Band der Elbe, das in der Abendsonne wie flüssiges Blei glänzt, fährt der letzte Schaufelraddampfer dieses Frühlingstages stromabwärts. In etwa zwei Stunden wird er Dresden erreicht haben. Die Bastei liegt in einer grandiosen Landschaft, die die beiden aus der Schweiz stammenden Maler Anton Graff und Adrian Zingg Ende des 18. Jahrhunderts als "Sächsische Schweiz" bezeichnet haben - ein Begriff, der schon kurz darauf gebräuchlich war.

Dass die Sächsische Schweiz überall auf der Welt als Inbegriff einer deutschen Landschaft verstanden wird, hat freilich mit einem anderen Maler zu tun, dem Romantiker Caspar David Friedrich. Als er und seine Künstlerfreunde Carl Gustav Carus und Johann Christian Dahl im frühen 19. Jahrhundert diese Bergwelt als Motiv entdeckten, konnten sie sicher sein, keiner Menschenseele zu begegnen. Aber ihre Bilder, die eine großartige, unberührte und einsame Gebirgslandschaft zeigen, weckten in vielen Betrachtern den Wunsch, dieses Naturschauspiel selbst zu erleben. Mit dem Dampfer und der Eisenbahn wurde das schon wenige Jahrzehnte später möglich. Die meisten Besucher zog es von Anfang an zur Bastei hinauf, weil sich von deren Aussichtsplattform aus 194 Meter Höhe ein besonders spektakulärer Ausblick auf das Elbtal und das Gebirge eröffnet.

Als Caspar David Friedrich im März 1813 vor den napoleonischen Besatzungstruppen aus Dresden in die Sächsische Schweiz floh, konnte er sich dort noch ungestört seinen Empfindungen überlassen. Hier fand er die Motive für zahlreiche seiner Bilder, darunter auch für eines seiner Hauptwerke, das 1818 entstandene Gemälde "Wanderer über dem Nebelmeer", dem wohl populärsten Bild der Hamburger Kunsthalle. Ein Mann in altdeutscher Tracht, der dem Betrachter den Rücken zuwendet, steht auf einem Felsblock und schaut auf eine märchenhafte Gebirgslandschaft. Aus dem Nebel, der das Tal unter ihm bedeckt, ragen einzelne Felsen und Berggipfel heraus. Dieses weltberühmte Bild wurde und wird immer wieder als Sinnbild deutscher Mentalität und Geisteshaltung betrachtet, als Sinnbild einsamer deutscher Sinn- und Seelensuche.

Die Sonne ist inzwischen fast untergegangen. Elbaufwärts lässt sich schemenhaft jener, nun tatsächlich ein wenig von Abendnebel umwehte Berg erkennen, der den Hintergrund des Hamburger Nebelmeer-Gemäldes bildet. Es ist der 619 Meter hohe Rosenberg; er liegt jenseits der tschechischen Grenze in der Böhmischen Schweiz. Der EuroCity müsste ihn auf seinem Weg nach Prag inzwischen schon passiert haben.