Kachelmanns Wetterbericht machte einen extremen Ort bekannt: den Funtensee.

Das Ende der Republik liegt am Ende der Welt, genauer im Gebirgsmassiv des Steinernen Meeres. Dort findet sich auf 1601 Metern Höhe ein Karstsee, dessen Fläche mit 3,5 Hektar gerade einmal ein Fünftel der Fläche der Binnenalster ausmacht. Wege und Orte widersprechen allen Marketingfantasien der Tourismuswirtschaft: Die Alm in der Nähe, die 1964 aufgegeben wurde, heißt "Verlorne Woad". Hinauf zum See führt die schmale wie steile Saugasse, sein Abfluss verbirgt sich an der Teufelsmühle. Über Jahrzehnte verirrten sich nur wenige Besucher hinauf zum Karstsee, ein paar Wanderer, versprengte Skiläufer und einige Wallfahrer, die nach St. Bartholomä am Königssee pilgerten.

Seit einigen Jahren aber ist der Funtensee in aller Munde - entdeckt von einem Schweizer, der mit seinen Messinstrumenten den Karstsee deutschlandweit bekannt gemacht hat. Jörg Kachelmann maß am Funtensee am Heiligen Abend 2001 die Tiefsttemperatur von 45,9 Grad unter Null, ein deutscher Minusrekord. Und weil Deutsche nichts so sehr lieben wie Minusrekorde und Wetterdebatten, war am Heiligen Abend ein neuer Wetterstar geboren.

"Viele kennen den Funtensee durch den Kachelmann", sagt Heidi Schweiger, die am Funtensee lebt, eine von zwei Bewohnern in der einsamen Höhe. Mit ihrem Lebensgefährten Markus Amann betreibt sie das Kärlingerhaus, das 37 Meter über dem Funtensee liegt. Die Hütte des Deutschen Alpenvereins ist von 29. Mai bis 11. Oktober bewirtschaftet, rund 9500 Gäste beherbergen die Hüttenwirte im Jahr.

Ein Leben zwischen Einsiedelei und Tourismus. Einerseits der Welt entrückt, treffen sie andererseits immer wieder auf die Zivilisation - vier Stunden Fußmarsch entfernt im Tal. Wie alle Alpenvereinshütten bietet das Kärlingerhaus jedem Wanderer Unterschlupf - den Glücklichen eine Schlafstatt im Vierbettzimmer, den anderen ein Matratzenlager. Hier leben die deutschen Traditionen des Alpenvereins, der Wandervogel- oder Jugendherbergsbewegung auch im 21. Jahrhundert weiter.

Es ist aber weniger Romantik als der Realismus, der die Hüttenwirte Amann und Schweiger am Funtensee treibt. Für sie ist es ein Job, ein harter wie schöner. "Wir müssen jeden Zahnstocher, jede Glühbirne, jedes Getränk einfliegen lassen", sagt die Hüttenwirtin. "Jeder Liter Wasser muss gefiltert, bestrahlt, gereinigt werden." Das beschränkt Angebot und Komfort radikal - und löst bei Wandernovizen mitunter einen Kulturschock aus. "Man denkt, der Bergsteiger ist ruhig und anspruchslos - aber die Erwartungen sind radikal gestiegen." Heute wünschen viele auch am Ende der Welt zumindest ein Doppelzimmer mit Dusche und WC.

Andere kommen gerade, weil es das auf dem Berg nicht gibt. Sie finden dort das, was andere auf Fernreisen, in Selbstfindungsseminaren oder Esoterikzirkeln suchen: Ruhe, Einfachheit, Einsamkeit. Hier klingelt kein Mobiltelefon, hier lärmt kein Fernseher, hier nervt kein Internet. Wer mit dem Handy telefonieren will, muss eine Stunde auf den Feldkogel steigen. Wer dann den Königssee unter sich liegen sieht, denkt nicht mehr ans Telefonieren.

Bis Mitte Juni liegt Schnee am Funtensee, dann kommen die Sommergäste. "Die Saison ist extrem heftig", sagt die Hüttenwirtin. "Wir stehen um 5 Uhr auf und liegen nicht vor 22 bis 23 Uhr im Bett." Bis in den September, sieben Tage die Woche. "In der Nacht müssen wir noch ein Ohr für die Späteinkehrer haben. Es hört nicht auf." Oben auf dem Berg gibt es keine Gewerkschaft. Dafür gibt es ein anderes Leben, das auch die Hüttenwirte im mittlerweile vierten Jahr verändert hat. "Weltpolitik kommt auf dem Berg nicht an. Wir scheren uns nicht darum, ob es irgendwo ein Attentat gibt oder gerade Olympische Spiele sind. Viel wichtiger ist, dass immer Wasser auf dem Herd steht."

Der Berg hat sie verändert, sagt Schweiger. "Man lernt Demut vor der Natur und wird gläubiger." Dort am Funtensee, am Ende der Republik, am Ende der Welt.